Hermann Lohmann, Dr. Henning von Löwis of Menar und Karl-Heinz Schmeelke im Jahr 2006 auf Spurensuche |
Aufzeichnungen von Hermann Lohmann aus Echem / Kreis Lüneburg zuletzt wohnhaft in Deutsch Evern verstorben am 18.04.2016
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Aufbereitet und veröffentlicht von der Homepage im Dezember 2010 |
Werte Leser,
hier sind meine Erlebnisse, Gedanken und Gefühle als Siebzehn- bis Neunzehnjähriger im 2. Weltkrieg vom 18. Mai 1943 bis zum 30. Mai 1945 dargestellt mit Hilfe von Auszügen aus Feldpostbriefen an meine Eltern.
Mehr als 60 Jahre sind nun vergangen, seit ich als 19jähriger glücklich aus dem 2. Weltkrieg in meine Heimat zurückkehren konnte. Ich habe viel Glück gehabt. Mir war ein gnädiges Schicksal beschieden. Ich habe das Inferno des zweiten Weltkrieges überlebt.
Meine Dienstzeit im Reichsarbeitsdienst und beim Fallschirmpanzerkorps Hermann Göring, meine Flucht aus russischer Gefangenschaft und meine Heimkehr nach Echem Kreis Lüneburg können Sie auf dieser Seite nachvollziehen.
Hermann Lohmann
Auflösung der Oberschulklasse und Reichsarbeitsdienst
Mehr als 60 Jahre sind nun vergangen, seit ich als 19jähriger glücklich aus dem 2. Weltkrieg in meine Heimat zurückkehren konnte. Nach so langer Zeit ist es natürlich schwierig, einen realistischen Bericht zu schreiben, weil viele Erlebnisse einer gewissen Verklärung anheim gefallen sind. Meine Mutter hat meine Feldpostbriefe aufgehoben, die mir heute als "Tagebuch" dienen können. Somit habe ich auch heute nach mehr als 60 Jahren noch die Möglichkeit, meine Erlebnisse einigermaßen vollständig und ereignisgetreu zu erzählen.
Meine Jugendzeit habe ich vom 13. bis zum 19. Lebensjahr im 2. Weltkrieg erleben müssen. In diesem Lebensalter prägen sich außergewöhnliche Ereignisse wohl besonders in das Gedächtnis eines Menschen ein. Ich und viele andere meines Alters werden diese Erlebnisse deshalb auch wohl niemals ganz aus dem Gedächtnis verdrängen können.
Am 1.9.1939 begann der 2. Weltkrieg. Ich habe mir damals als 13jähriger nicht träumen lassen, dass auch ich noch in den Krieg ziehen müsste.
Aber am 18. Mai 1943 wurde ich als 17jähriger zum Reichsarbeitsdienst nach Friesoythe/Oldenburg einberufen. Meine Oberschulklasse im Johanneum zu Lüneburg wurde aufgelöst.
Ich will nun meine Erlebnisse in der Zeit vom 18. Mai 1943 bis zum 1. April 1945 (Ostersonntag) anhand meiner Feldpostbriefe schildern. Meinen letzten Feldpostbrief, der meine Eltern erreichte, habe ich am Karfreitag, den 30.3.1945 im Samland/Ostpreußen geschrieben. Wichtige Teile aus dem Originaltext der Feldpostbriefe will ich herausschreiben, um so am besten darstellen zu können, was ich im Kriege als 17- bis 19jähriger empfunden und gedacht habe. Hieraus ist auch zu erkennen, wie ich damals die außergewöhnlichen körperlichen und seelischen Belastungen ertragen habe.
Meine Erlebnisse in der Zeit vom 1.4.1945 bis zum 30.5.1945 beschreibe ich aus meinem Gedächtnis heraus, wobei mir noch vorhandene Karten und Adressen sowie oftmaliges Erzählen in den Jahren nach Kriegsende als Gedächtnisstütze dienen.
Vorab will ich einiges über die Arbeitsdienstorganisation und meine Arbeitsdienstzeit berichten, was aus meinen Briefauszügen nicht zu entnehmen ist.
Der Arbeitsdienst wurde durch eine "Notverordnung vom 5. Juni 1931 im Interesse der Erwerbslosen-, Krisen- und Wohlfahrts- unterstützungsempfänger" von der damals demokratischen Reichsregierung gegründet, denn damals gab es in Deutschland mehr als 6 Millionen Arbeitslose.
Am 26.6.1935 wurde die allgemeine Arbeitsdienstpflicht für Männer eingeführt. Es ging damals der Slogan um:
"25 Pfennig ist der Reinverdienst - ein jeder muss zum Arbeitsdienst".
25 Pfennig war damals der Tageslohn.
Für die weibliche Jugend war der Arbeitsdienst zunächst freiwillig. Es gab ca. 10.000 "Arbeitsmaiden". Ab 1.4.1940 wurde die Anzahl auf 50.000 erhöht. Deren Aufgaben wurden wie folgt beschrieben: "Die weibliche Jugend im Arbeitsdienst ist dazu berufen, kinderreichen und hilfsbedürftigen Müttern, namentlich den schwer belasteten Bauern- und Siedlerfrauen zu helfen. Arbeitsdienst der weiblichen Jugend ist Mütterdienst."
Das klingt ja alles ganz vernünftig. Allerdings gab es natürlich im Dienstplan neben Sport auch politische Schulung, um die politische Meinung der Arbeitsmaiden einheitlich den Lehren der NSDAP entsprechend auszurichten. Auch im Haushalt meiner Eltern halfen Arbeitsmaiden aus dem Arbeitsmaiden- lager in Bullendorf.
Schon Anfang der dreißiger Jahre wurden in ganz Deutschland, so auch in Echem und später in Bullendorf Holzbarackenlager gebaut, in denen immer ca. 200-250 Menschen untergebracht werden konnten. Aufgaben des Reichsarbeitsdienstes waren vor allen Arbeiten der Landeskultur wie Gräben zwecks besserer Entwässerung räumen, Dränungen legen, Moorflächen entwässern, kultivieren und Wege anlegen. Auch in Flurbereini- gungen und in der Forstwirtschaft wurde der Arbeitsdienst eingesetzt.
Die zur Arbeit hinausmarschierenden Arbeitsmänner des Echemer RAD-Lagers habe ich von meinem achten Lebensjahr an erlebt. Morgens zogen sie Marschlieder singend hinaus in die Feldmark zur Grabenarbeit.
Es wurden in Echem vorwiegend Wassergräben von Bewuchs und Schlamm befreit. In dem dortigen Tonboden war das eine schwere, schmutzige Arbeit. Mein Vater hat auf Anforderung auch Arbeitsmänner einsetzen dürfen, um Dränrohre zur Ackerentwässerung legen zu lassen.
Im Krieg wurden die Arbeitsmänner zunehmend für kriegswichtige Arbeiten eingesetzt, wie ich auf dem Feldflugplatz Wittmundhafen.
Das
Reichsarbeitsdienstlager Friesoythe
Ein aus Holzbaracken bestehendes Arbeitsdienstlager war auch das RAD-Lager Friesoythe, wo 235 Arbeitsmänner unter- gebracht waren. In meinen Briefen hört sich meine Arbeitsdienstzeit so harmlos und angenehm an. So schön war es im RAD zunächst überhaupt nicht. Im so genannten "Erziehungs- und Ausbildungsdienst" wurden wir sehr hart heran genommen und oft auch schikaniert.
Die sportlichen Übungen waren noch erträglich. Aber die Ordnungs- oder Exerzierübungen waren hart und oft schikanös. Wir Oberschüler hatten immer den Eindruck, dass gerade im Arbeitsdienst die Ausbilder nicht besonders intelligente, verkrachte Existenzen waren. Sie fühlten sich uns wohl geistig unterlegen und übten ihre Macht über uns besonders brutal aus.
Mit ihrer extremen Schleiferei durch Exerzieren, Robben mit Spaten in Vorhalte möglichst durch Wasserpfützen etc. wurden wir fertig gemacht. Der Laufschritt war die normale Gangart. Nachdem wir uns in Drillichzeug buchstäblich "im Dreck gesuhlt" hatten, mussten wir manchmal eine halbe Stunde später in appellfähigem Drillichzeug antreten, was nur möglich war, wenn man es nach dem Waschen nass wieder anzog. Wer auffiel, musste die Latrinenbaracke schrubben oder Nachexerzieren etc.
Man brachte uns durch diese Schinderei bis zum "Kadaver- gehorsam", was bedeutet, dass man jeden Befehl ohne eigenes Denken ausführt. In den damaligen Richtlinien hieß es:
"Jeder einzelne Mann hat jede befohlene Bewegung so einwandfrei wie möglich auszuführen. Er ist nicht mehr ein selbständiges "Ich", sondern nur noch ein Glied der Mannschaft. Die Übungen werden wiederholt, bis sie in Fleisch und Blut übergegangen sind. Die Ordnungsübungen erziehen zu Gehorsam, Selbstbeherrschung und Einfügung in die Gemeinschaft".
Das "Spatenexerzieren" wurde in unserem 1. Zug soweit getrieben, dass wir auf einem Kameradschaftsabend der Bevölkerung von Friesoythe auf der Dorfbühne perfekte Spatengriffe vorführen konnten. Hierfür mussten die Spaten natürlich spiegelblank sein. Deshalb habe ich meine Eltern in meinen Briefen auch immer wieder gebeten, mir Schmirgelpapier zu schicken.
Nach der sehr harten Grundausbildungszeit wurde der Dienst im RAD für uns etwas angenehmer. Die Schikanen hörten weitgehend auf. Während der Einsatzzeit auf dem Flughafen Wittmundhafen wurden wir dann recht fair behandelt. Wir arbeiteten dort im Sommer mit freiem Oberkörper und Drillichhose. Der Truppführer passte genau auf, dass niemand der Arbeitsmänner einen Sonnenbrand bekam. Leider war ich wegen meiner sonnenempfindlichen Haut immer einer der ersten, die das Unterhemd anziehen mussten und ich schwitzte dementsprechend stärker.
Insgesamt gesehen habe ich die Arbeitsdienstzeit ohne körperliche Schäden überstanden. Die Kameradschaft, das Miteinander unter uns 17jährigen Jungens war gut. Wir haben uns gegenseitig geholfen und so das Beste aus der RAD-Zeit gemacht.
Am 23.5.43 schrieb ich meinen ersten Brief aus dem Arbeitsdienst in Friesoythe:
Am 1.6.43 schrieb ich:
Es ist heute eigentlich unvorstellbar, dass wir Jungens damals unsere Exerzierspaten spiegelblank scheuern und polieren mussten, um beim Spatenappell nicht bei den Vorgesetzten aufzufallen. Das hätte Strafdienst auslösen können.
Vereidigung
im Lager Friesoythe Juni 1943
Wir sind damals nach Wittmundhafen verlegt worden und wurden auf dem Rollfeld des Militärflugplatzes beim Bau von Beton-Start- und Landebahnen eingesetzt.
Im
Waldlager beim Flugplatz Wittmundhafen
Im Einsatz 24.7.43
Wir werden etwa am 19.8. entlassen. Hoffentlich kann ich dann noch einige Zeit bei Euch sein. Es klingt wie eine Sage, nur noch 24 Tage.
Ich bin dann aber schon etwa am 12. August aus dem Arbeitsdienst in Wittmund entlassen worden und in der 1. Garnitur Arbeitsdienstuniform nach Hause (Echem) gefahren, weil die Zivilsachen nicht rechtzeitig eintrafen. Der Aufenthalt zu Hause hat nur 2 Wochen, bis zum 26. August 1943, gedauert.
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Rekrutenzeit und Ausbildung in Utrecht/Holland
Bereits 1942 hatte ich mich unmittelbar nach der Musterung als Kriegsfreiwilliger zur "Panzer-Division Hermann Göring", einer voll motorisierten Luftwaffeneliteeinheit gemeldet. Mein Berufsziel war der "Höhere Forstdienst." Hierfür war der Dienst in einer Eliteeinheit der deutschen Wehrmacht Voraussetzung. Für Angehörige der Division des Reichsforstmeisters Göring waren die Annahmechancen in den stark begehrten Forstberuf besonders günstig. Für die Annahme zur Division H.G. habe ich 1942 in Hamburg-Rissen eine Intelligenz- und Mutprüfung ablegen müssen. Nur diejenigen, die diese Prüfung mindestens mit "gut" bestanden, wurden angenommen.
Meine Annahmebescheinigung zur Division H.G. verhinderte, dass ich im RAD von einer Anwerbekommission der Waffen- SS, wie viele meiner Kameraden, genötigt werden konnte "freiwillig" zur Waffen-SS zu gehen. Die Jungs wurden von der SS-Kommission regelrecht moralisch weich geklopft, indem sie sagten: "Du als deutscher Junge gehst doch wohl selbstverständlich zur Waffen-SS" und ähnliches, dem die 17jährigen Jungs meistens nicht widerstehen konnten.
Am 26. August bin ich in Zivilzeug in Utrecht/Holland eingetroffen. Wir wurden nach Hamburg eingezogen. Von dort aus ging der Rekrutentransport mit der Eisenbahn direkt nach Holland.
Mein Bruder war zu dem Zeitpunkt gerade von der Ostfront bei Leningrad (St. Petersburg) im Urlaub, als ich Soldat werden musste. Meine Mutter hat wohl bitterlich geweint, als sie nun auch den zweiten Sohn im Alter von 17 Jahren hergeben musste. Sie hat versucht, sich zu beherrschen, um mir ihren Schmerz nicht so sehr zu zeigen. Meinen Bruder habe ich seitdem nicht wieder gesehen. Er ist seit dem 19.1.1944 in Russland vermisst. Kameraden der Sanitätskompanie der 225.ID haben zur Erinnerung an ihre gefallenen Kameraden und auch für meinen vermissten Bruder durch den Volksbund Kriegsgräberfürsorge auf dem Soldatenfriedhof Narva/Estland Bäume pflanzen lassen.
Am 28.8.43 schrieb ich aus Utrecht:
Liebe Eltern u. Bruder!
Vorgestern bin ich hier angekommen und weiß jetzt noch nicht, wo ich beikomme. (Zu welcher Waffengattung) Ich will hoffen, dass dieser Brief dort ankommt. Wir dürfen ja eigentlich noch nicht schreiben. Aber damit Ihr Euch nicht ängstigt, stecke ich diesen Brief bei einer anderen Kompanie ein. Ich stecke noch in Zivil und vielleicht auch noch einige Tage. Ihr dürft nicht wieder schreiben. Die Kasernen sind hier blendend. Auch die Stadt ist so. Mir und H. Krumstroh (Schulfreund aus Scharnebeck) geht es noch sehr gut.
Viele Grüße bis auf weiteres in 4 Wochen Euer Hermann
Wir dürfen nicht eher schreiben.
Gemeinsam mit 3 Forstmeistersöhnen habe ich mich damals, als ich gefragt wurde, zu welcher Waffengattung ich möchte, zu den Fallschirmjägern gemeldet. Wie dumm und verblendet war man damals als Jugendlicher. Zu meinem großen Glück hatte man in Utrecht keine Fallschirmjägereinheit. Ich wurde Z.b.V. eingeteilt = Zur besonderen Verwendung.
Glücklich, weil wohl schon etwas klüger, war ich, als ich zur Artillerie eingeteilt wurde. Ich habe dann bis zum Kriegsende im Fallschirm-Panzer-Artillerie-Regiment HG Dienst getan.
Die Grundausbildung (stehen, gehen und marschieren lernen) fand zunächst in der Hoyel-Kaserne in Utrecht statt, wohin ich auch in Zivil eingerückt war. Als wir dort in Zivilzeug ankamen, ließ man uns erst mal vor dem Kasernentor hinlegen und hindurchrobben. Auf dem Kasernenhof spielte das Musikkorps gerade "Alte Kameraden." Ich dachte: "Na, das fängt hier ja gut an, das kann ja heiter werden."
Die Grundausbildung war hart. Die von uns verlangten körperlichen Leistungen reichten bis an die Grenze der physischen Erschöpfung. Oft haben wir uns in der Kaserne an den Treppengeländern hochziehen müssen, um in die Soldatenstuben im 1. oder 2. Stock zu gelangen. Wir wurden systematisch hart gemacht, um für den Kriegseinsatz an der Front fit zu sein.
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Einsätze bei Monte Cassino und Anzio/Nettuno
Am 16.11.43 sind wir per Eisenbahn in Waggons nach Italien zum Fronteinsatz transportiert worden. Alle, auch die Offiziers- bewerber, kamen aus Holland an die Front bei Monte Cassino. Wir hatten vorher neue, khakifarbene Tropenuniformen bekommen. Wir fanden das zwar sehr schick, weil das etwas besonderes war, aber so praktisch war diese Bekleidung in der relativ kühlen Regenzeit in Süditalien auch nicht.
Italien, d. 22.11.43
Liebe Eltern!
Endlich habe ich nach 6 Tagen Bahnfahrt meine neue Unterkunft erreicht. Es war eine wunderbare Bahnfahrt durch die wunder- schönen Alpen, dann die Weinberge an den Südhängen der Alpen und später als wir Oliven-, Apfelsinen- und Feigenbäume sahen, waren wir platt. Außerdem haben wir uns gewundert, dass uns auf fast jedem Bahnhof Rotwein angeboten wurde. Jetzt habe ich schon Rotwein in "Massen" getrunken und die ersten Feigen und Apfelsinen gepflückt. Hier blühen jetzt die Alpenveilchen draußen im Gebirge genauso wie zu Hause beim Gärtner. Wir liegen in einer Kapelle.
Einteilung zur Beobachtungsbatterie
Wir waren kurzfristig hinter der Front 1 - 2 Tage in einer katholischen Kapelle untergebracht, um dann den einzelnen Fronttruppenteilen als Ersatzleute zugeteilt zu werden. Es wurde gefragt, wer Abitur oder Notabitur habe. Von denen, die sich meldeten, wurden dann einige, wie auch ich, der Beobachtungs- batterie (BB) zugeteilt. Während der Verteilung fragte ich den einteilenden Major, ob nicht mein Schulfreund Hartwig Krumstroh aus Scharnebeck auch zur BB eingeteilt werden könne. Ich hatte ihn nachts auf dem Bahnhof in Bozen wieder getroffen. Er war mit mir zusammen eingezogen und in Amersfoort/Holland ausgebildet worden. So wurde auch Hartwig meiner Einheit zugeteilt. Glücklicherweise hat er mit leichter Verwundung den Krieg überlebt. Ich hätte mir sonst Vorwürfe gemacht, damals Schicksal gespielt zu haben.
Ich bin heute der Meinung, dass man in einer so gefährlichen Lebensphase nicht in das Lebensschicksal eines anderen eingreifen sollte.
Die Aufgaben der Beobachtungsbatterie H.G. (BB-H.G.) waren:
1. Die Aufklärung feindlicher Artilleriestellungen a) durch die Lichtmessstaffel b) durch die Schallmessstaffel. Mittels eines Licht- und Schallmessverfahrens wurde der Abschussblitz bzw. der Abschussknall feindlicher Geschütze von 4-5 entlang der Front verteilten Messstellen aus beobachtet und gemessen. In der zentralen Auswertung wurde auf der Landkarte aufgrund der verschiedenen Beobachtungsrichtungen bzw. des zeitlich unterschiedlichen Eintreffens des Schalls bei den einzelnen Schallmessstellen der Standort der feindlichen Artillerie bestimmt.
2. Bereitstellung von Wetterdaten für die Artillerie und Flakabteilungen der Division zur Ausschaltung ballistischer Einflüsse auf die Geschossbahnen. Zur Erarbeitung genauer Schießbefehle für die Artillerie, um feindliche Geschützstellungen zielsicher und wirksam bekämpfen zu können, wurden auch Wetterdaten benötigt. Insbesondere waren dafür Windrichtung und Windgeschwindigkeit am Boden und in größeren Höhen wegen der dadurch erfolgenden Ablenkung der Geschosse in der Luft wichtig.
Die Messung erfolgte mittels mit Wasserstoff gefüllter roter Wetterballons, deren Auftriebsgeschwindigkeit vorher mittels angehängter Gewichte austariert wurde. Mit Hilfe eines Theodoliten (lt. Lexikon ein Instrument zum genauen Messen von Horizontalwinkeln für niedere und höhere Geodäsie) wurden durch anvisieren des roten Ballons und messen von Winkeln Windrichtung und Windgeschwindigkeit nach Auswertung im Auswertewagen bestimmt. Die Beobachtungen einschließlich gemessener Temperaturen wurden in einer Wettermeldung, der so genannten "Barbarameldung" zusammen gefasst und telefonisch an das ArKo = Artilleriekommando durchgegeben, das die Feuerbefehle erstellte.
3. Herstellung und Beschaffung von Kartenmaterial für die Stäbe und Truppe.
Dafür war in der BB-H.G. ein Druckerei- und Vermessungstrupp vorhanden, der Landkarten der jeweiligen Frontgebiete für die Division zu erkunden und zu drucken hatte.
Ich hatte also großes Glück, einem solchen "Intelligenzhaufen" zugeteilt zu werden. Weiteres Glück hatte ich, als dann später bei der Einheit gefragt wurde, wer Ahnung von Wetterkunde habe. Ich habe mich gemeldet, weil ich mich schon immer für Meteorologie interessiert hatte und ich auch gerade im Johanneum in Lüneburg entsprechenden Unterricht gehabt hatte. So kam ich gemeinsam mit Franz Heieis als Ersatz zum Wettertrupp der BB-H.G. Der Wettertrupp bestand aus 8 Soldaten (1 Unteroffizier, 1 Kraftfahrer und 6 Wettermesser). Es war eine schöne kleine relativ selbstständige Gruppe Wir Wetterfrösche, wie wir uns nannten, haben uns immer gut verstanden und uns gegenseitig geholfen. Mit den noch lebenden Kameraden habe ich heute noch Kontakt. Ich war also bei einer technischen Aufklärungseinheit, die normalerweise etwas rückwärtig der HKL (Hauptkampflinie) im Einsatz war.
Es war die Regenzeit in Süditalien. Tagelang regnete es so stark wie hier bei Gewitterregen. Das Wasser stürzte in den Hohlwegen in reißenden Bächen bergab.
Damit wir unsere Barbara-Meldung absetzen konnten, hatten wir einen Funktrupp zugeordnet bekommen. Das war für bewegliche Fronten schon wichtig, damit die Artillerie- und Flak-Batterien ihre Meldungen bekamen, die nach einem vereinbarten Schlüssel alle 2 Stunden gesendet wurden. Nachteilig für uns allerdings war, dass die Gegner ein hoch entwickeltes Funkortungsverfahren besaßen. So wurde der Standort unseres Funktrupps bereits nach dem 1.Funkspruch angepeilt und die ersten Granateinschläge der feindlichen Artillerie saßen verdammt genau.
Wir bauten dann eine Fernsprechleitung in Verbindung mit dem Fernsprechtrupp des Artillerie-Regiments bis zum Fluss Liri, der überquert werden musste. Für diesen Teil der Leitung mussten wir auch die Entstörung übernehmen, denn die Fernmelder vom Artillerie-Regiment konnten den Fluss wegen des Hochwassers nicht überqueren. So waren wir Tag und Nacht zusätzlich mit der Aufrechterhaltung der Telefonverbindung beschäftigt. Sehr oft ist es vorgekommen, dass ein Störtrupp noch gar nicht wieder zurück war und die Leitung schon wieder unterbrochen war. Vielfach lag die Störung auch auf der anderen Flussseite für die das Regiment zuständig war. So hatten wir große Probleme mit der Aufrechterhaltung einer Verbindung zu unseren Einheiten und wir entschieden uns schließlich für einen Stellungswechsel nach St. Giorgio.
Hier ein persönliches Erlebnis aus dieser Zeit: Es war wieder einmal unsere Telefonleitung zerschossen. Ich musste auf Störungssuche gehen. Mühsam bewegte ich mich mutterseelenallein in dem durch Artillerieeinschläge aufgewühlten, zerschossenen, matschigen Gelände, den Stahlhelm auf dem Kopf, die Telefonleitung in der Hand, sofern sie nicht gut zu sehen war, und das Feldtelefon umgehängt immer der Leitung entlang. Dabei war ich immer darauf bedacht, bei Artilleriebeschuss in den nächsten Einschusstrichter springen zu können. Überhaupt konnte man bei Monte Cassino nicht einen Schritt tun, ohne vorher nach der nächsten Deckungsmöglichkeit zu suchen.
Ich hatte von den alten, Front erfahrenen Kameraden schon gelernt und aus eigenem Erleben bestätigt bekommen: Bei langem Pfeifton sind die Artilleriegeschosse noch weit weg und du brauchst dich nicht einmal zu bücken. Wenn es kurz und energisch pfeift, schnell in Deckung werfen und wenn du das Pfeifen nicht hörst, bist du tot. Das Letztere habe ich glücklicherweise nicht erlebt. Das war so ein realitätsbewusster Soldatenschnack (Galgenhumor).
Als ich einmal bei der Nässe in all dem Dreck und Matsch endlich das andere Kabelende gefunden hatte und beide Leitungen an das Feldtelefon anklemmte, kriegte ich einen gewaltigen elektrischen Schlag. Am anderen Ende hatte mein Schulfreund Hartwig Krumstroh an dem Feldtelefon gekurbelt. Das war mein erster Kontakt mit meinem Schulfreund Hartwig, der in einem Schallmesstrupp gelandet war. Wegen des Stromschlags habe ich ihn damals tüchtig beschimpft. Ich war aber froh, nach mehreren zerschossenen Kabelstellen endlich die Störungssuche in dem matschigen, mit wassergefüllten Granattrichtern übersäten Gelände endlich beenden zu können.
Wenige Tage später erkannte ich immer deutlicher, wie verheerend die Materialüberlegenheit der alliierten Truppen, bestehend aus Amerikanern, Engländern, Franzosen, Polen (Anders-Armee), Kanadiern, Neuseeländern, Marokkanern, Indern u. anderen Truppen war, die bei Cassino gegen uns kämpften. Wir konnten uns tagsüber kaum frei bewegen, ohne Gefahr zu laufen, von feindlichen Flugzeugen an jedem Ort des Frontgebietes selbst als einzelner Soldat angegriffen zu werden. Hierzu ein am eigenen Leibe erlebtes Beispiel: Bei St. Giorgio, wohin wir inzwischen verlegt worden waren, war ich mittags mit einem Essenskanister auf dem Rücken zur Feldküche geschickt worden. Als ich mit dem mit Suppe gefüllten Kanister auf dem Rückweg war, griff mich bei strahlend blauem Himmel im Sturzflug, obwohl ich ganz alleine war, ein Jabo (Jagdbomber) an und klinkte 2 Bomben auf mich aus.
Ich sehe heute noch, wie die Bomben auf mich losstürzten und sich dabei drehten und in der Sonne spiegelten. Geistesgegen- wärtig sprang ich schnell in eine schmale Pflugfurche und machte mich ganz lang, nur der Essenskanister ragte wohl noch hervor. Eine Bombe schlug rechts und eine links von mir ein und dann lief es mir heiß über den Rücken. Ich dachte, ich wäre schwer verwundet und mein Blut liefe mir über den Rücken. Die Bombensplitter hatten aber nur den Suppenkanister durchlöchert und die heiße Suppe lief mir über den Rücken. Ich blieb dank meiner schnellen Reaktion unverletzt. Persönlich habe ich die ganze Macht der feindlichen Artillerie gespürt, als wir 36 Stunden lang im Bereich eines Trommelfeuers lagen. Es wurde von den Alliierten vor allem der nahe liegende Monte Camino beschossen, auf dem nur 1 Zug Soldaten von uns lag. Sie schossen auch mit Phosphorgranaten, so dass wir nachts sehen konnten, wie der leuchtende, brennende Phosphor den Berg herablief. Verwundungen durch Phosphorgranaten sind grausam und furchtbar schmerzhaft. Von deutscher Seite sind meines Wissens im 2.Weltkrieg keine Phosphorgranaten eingesetzt worden. Damals, Anfang Dezember 1943, wurde mir sehr schnell klar, dass der Kriegsverlauf von den materiell weit überlegenen Alliierten diktiert wurde und wir Deutschen nur noch eine Zeitlang zur Verteidigung fähig sein würden. Der Krieg war nicht mehr zu gewinnen, sondern wurde nur noch verlängert. "Welch ein Wahnsinn" denke ich heute und wie viele Menschen sollten noch leiden und sterben müssen.
Wenn man heute auf dem deutschen Soldatenfriedhof Cassino die Namen der gefallenen Kameraden liest und die Soldatenfriedhöfe anderer Nationen rund um die Abtei Monte Cassino sieht, fragt man sich, warum das alles geschehen musste. Wie dankbar können wir sein, dass wir seitdem über 60 Jahre Frieden haben. Möge er uns noch lange erhalten bleiben.
Kurz vor Weihnachten 1943 schrieb ich aber dennoch zwecks Beruhigung meiner Eltern:
Italien, 15.12.43
Liebe Eltern,
macht Euch bitte keine Sorgen um mich, wenn Ihr unter dem Tannenbaum sitzt. Da stellt nur Radio an und hört Weihnachtslieder. Wir haben hier nämlich auch ein Radio und zufällig auch Strom. Nur einen Christbaum haben wir nicht. Wir müssen schon einen Pinienbaum nehmen.
Wir waren inzwischen nach Pignataro, nahe der Abtei Monte Cassino, verlegt worden und hatten im Obergeschoß einer Mühle, wo die Wohnung unbewohnt war, Quartier bezogen. Zu Weihnachten war es uns gelungen mittels eines Stromaggregates der Beobachtungsbatterie elektrischen Strom zu erzeugen und diesen mittels mehrerer Telefonkabel in die Mühle zu leiten. So hatten wir Strom und die italienische Bevölkerung, soweit sie noch im Frontbereich geblieben war, konnte zu Weihnachten noch einmal Weizen zu Mehl mahlen. Aus der ganzen Umgebung kamen Menschen mit Getreidesäcken und waren glücklich, zu Weihnachten Weizenmehl zu bekommen.
Italien, den 19.12.43
Liebe Eltern, nach langer Zeit kann ich mal wieder bei elektrischem Licht einen Brief schreiben. In 5 Tagen ist schon Heiligabend. Aber hoffentlich macht Ihr Euch keine Sorgen. Ich habe nämlich alles, was Ihr Euch denken könnt: Süßwein, Braten, Nüsse, Apfelsinen, Christbaum und Süßigkeiten mit wunderbarem Kuchen. Wir haben nämlich hier eine italienische Familie kennen gelernt, die aus England vertrieben worden ist, als der Krieg kam und daher englisch spricht. Wir haben bereits Mehl, Süßwein, Weißwein, Rotwein und Weißbrot von Ihnen bekommen und Weihnachten wollen sie noch Kuchen für uns backen.
27.12.43
Am ersten Weihnachtstag abends waren wir bei unseren Italienern eingeladen, von denen wir auch das Radio haben. Es gab Gänsebraten, Karnickelbraten, feines Gebäck und verschiedene Weine.
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Mein Bruder ist in Rußland vermisst
Im Jahre 1934 etwa war eine Volksabstimmung, in der für oder gegen Hitler mit "ja" oder "nein" abgestimmt wurde. Es war sicherlich keine demokratische Wahl mehr.
Ich kann mich daran erinnern, dass wir 9- bis10-jährigen Jungs in einem Holunder- gebüsch versteckt beobachteten, wie Karl Wille aus Echem, ein Anhänger der Ludendorffbewegung und Wahlverweigerer, von uniformierten SA-Leuten aus seinem Haus herausgeholt und zum Gasthaus zur Wahl geführt wurde. Er soll den Wahlzettel durchgestrichen haben und "nein, Euch nicht" darauf geschrieben haben. Er war ein aufrechter, ehrlicher und mutiger Mann. Man hat ihn deswegen glücklicherweise als Dorfbewohner, der mit vielen verwandt war, keinen weiteren Repressalien ausgesetzt.
Mein Vater soll öffentlich, anlässlich einer Besprechung im Gasthaus Basedow, der Hengststation in Hohnstorf/Elbe, geäußert haben: "So und so viele Stimmen gegen Hitler - Deutschland erwacht." Als die geheime Staatspolizei bei der Wirtin nachforschte, soll sie gesagt haben: "Das habe ich so nicht gehört." Im Gegenteil, mein Vater habe gesagt: "Nur soviel Stimmen gegen Hitler".
So hielt in den Dörfern alles zusammen, so dass meinem Vater Gefängnis oder sogar KZ-Haft erspart blieben. Mein Vater konnte den Mund nicht halten, was in der damaligen Zeit besser gewesen wäre. Aber alle Dorfbewohner hörten wohl weg und dachten: Lasse ihn man reden.
Folgendes Erlebnis möchte ich aber doch schildern: Es war etwa im März 1943. Ich war noch nicht eingezogen und fuhr auf dem Fahrrad mit Hitlerjugenduniform bekleidet in Richtung Lüdersburg. Die Bahnschranke in Echem war geschlossen. Vor der Schranke standen mein Vater und August Ritter, unser Milchkontrolleur, ein eifriger Parteigenosse. Ich kam dazu und hörte gerade noch, wie mein Vater auf Plattdeutsch sagte: "August, diesen Hitler, den sollte man durch die Häcksel- maschine kriegen aber mit den Füßen zuerst, damit er was davon hat." Ich war starr vor Schreck und wäre am liebsten im Boden versunken. August Ritter hat das wohl für sich behalten. Jedenfalls ist danach nichts mit meinem Vater geschehen, August Ritter war nach dem Kriege zuletzt Milchkontroll- Oberinspektor.
Nach dem Krieg ist mein Vater, weil er als Hitlergegner bekannt war, sofort in die Entnazifizierungskommission des Kreises Lüneburg berufen worden. Das war sicherlich eine nicht ganz leichte Aufgabe. Er hat dann auch soweit er konnte geholfen, an sich harmlose Mitglieder der NSDAP als "Mitläufer" einzustufen. So hat er sich in gewissem Sinne dafür bedankt, dass die Parteianhänger ihn nicht verhaften ließen, sondern in Ruhe gelassen haben. In den Dörfern, wo jeder jeden kannte, war so etwas möglich.
Nun der von meinem Vater abgeschriebene Bericht des Kompaniechefs H. Reitmann (Original nicht mehr vorhanden)
Osten, d. 4.2.1944
Sehr geehrter Herr Lohmann!
Am 19.1.44 bei den schweren Abwehrkämpfen um die Duderlofen-Höhen fuhr Ihr Sohn Heinz mit einem Beiwagen- Krad in die vorderste Linie, um verwundete Kameraden zu bergen. Zur gleichen Zeit rollten zwei russische Panzer auf der Straße in Richtung Norchand Taizy. Das Krad kam zwischen zwei Panzer und fuhr in den Graben. Während der Fahrer sich als Verwundeter retten konnte, kam Ihr Sohn Heinz nicht mehr zurück.
Ein von mir selbst geleiteter Gegenstoß, um über das Schicksal Ihres Sohnes näheres zu erfahren, blieb erfolglos. Im Morgengrauen wurde von mir noch mal ein Gegenstoß eingeleitet, aber auch leider erfolglos. Es ist anzunehmen, dass Heinz in russische Gefangenschaft geraten ist.
Mit Ihrem Sohn Heinz verliert die Kompanie einen ihrer besten Soldaten. Die Kompanie und ganz besonders ich vermissen Ihren Sohn ganz schmerzlich. War er doch ein sehr tüchtiger, guter und schneidiger Soldat. Sie haben allen Grund, sehr stolz auf Ihren Sohn zu sein. Ohne Rücksicht auf seine Person barg er verwundete Kameraden. Die Kompanie ist ihm ewig zu Dank verpflichtet. Die Kompanie gedenkt in stolzer aber tiefer Trauer ihres vermissten Kameraden.
Möge Ihnen, sehr geehrter Herr Lohmann, dieses ein kleiner Trost sein. Mit Ihnen trauert die ganze Kompanie.
Ich grüße Sie in aufrichtiger Treue Ihr H. Reitmann Oblt. u. Komp.-Chef Feldpost Nr. 29789
Meine Eltern haben Ihr ganzes Leben lang unter dem Vermisstenschicksal meines Bruders gelitten. Sie haben über alle möglichen Organisationen, wie die Wehrmachtsbetreuungs- stelle Stalingrad und Tunis, den Hilfsdienst für Kriegsgefangene und Vermisste, das Deutsche Rote Kreuz, das Schwedische Rote Kreuz und sogar den Türkischen Halbmond versucht, etwas über das Schicksal meines Bruders zu erfahren.
Es war alles vergeblich. Er ist bis heute vermisst geblieben. Eine Stellungnahme des Deutschen Roten Kreuzes habe ich erhalten, als meine Eltern bereits verstorben waren.
Nachstehend ein Brief vom Kameraden Pius Türck Klingenbach Österreich. Der Brief des Kameraden und Kradfahrers Pius Türck, mit dem mein Bruder Heinz im Beiwagenkrad nach vorne gefahren ist, um Verwundete zu bergen, ist schwer lesbar. Ich will den Brief des Kameraden Türck, hier wiedergeben.
Am 5.3.44 schrieb ich noch in einem flüchtigen Brief:
Liebe Eltern!
Ich will Euch schnell ein paar Zeiten schreiben, weil ich weiß, dass Ihr Euch ängstigt, wenn ich mal ein paar Tage nicht schreibe.
Kurz danach ist unsere Division aus dem Fronteinsatz im Raum Nettuno-Cisterna zwecks Auffrischung (Personal- und Materialergänzung sowie Kampfruhe) in den Raum Lucca, Pisa, Livorno, etwa 250 km nordwestlich von Rom an die Küste Liguriens verlegt worden.
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Ruhestellung Perignano/Toskana Auf der Via Aurelia von Tieffliegern in Brand geschossen
Kurz danach ist unsere Division aus dem Fronteinsatz im Raum Nettuno-Cisterna zwecks Auffrischung (Personal- und Materialergänzung sowie Kampfruhe) in den Raum Lucca, Pisa, Livorno, etwa 250 km nordwestlich von Rom an die Küste Liguriens verlegt worden.
Italien, d. 24.3.44
Liebe Eltern!
Mir geht es hier noch sehr gut, was ich auch von Euch hoffe. Wenn es nur unserem lieben Heinz gut gehen würde. Hoffentlich habt Ihr schon etwas durch den Kraftfahrer über Heinz erfahren. Der weiß doch sicher näheres über sein Schicksal. Hoffentlich geht es ihm noch gut. Wegen Urlaub habe ich unseren Unteroffizier schon gefragt und der hat gesagt, dass er mal mit dem Spieß (Hauptwachtmeister) darüber sprechen würde und von ihm aus könnte ich sofort fahren, wenn einer von den beiden, die auf Urlaub sind, zurückkommt. Ich kann nämlich so nicht von der Arbeit weg und wenn ein Urlauber zurückkommt, kann einer fahren.
Meine Urlaubshoffnungen haben sich nicht erfüllt. Im Juni 1944 war wieder Großkampf mit Urlaubssperre und anschließend folgte der sehr strapaziöse Rückzug in die Po-Ebene.
Italien, 27.3.44
Liebe Eltern!
Gestern war Sonntag und da haben wir einen kleinen Spaziergang in die Gegend gemacht. Wo man auch hinsieht, sind Neuanpflanzungen von wunderbarem Toskanawein und dazwischen Korn- und Blumenkohlfelder. Im Hintergrund die Appenien, so dass diese Gegend hier sehr interessant ist. Wenn man in ein Haus kommt, hat man, ehe man sich versieht, schon ein Glas mit schönem Toskanawein vor sich stehen. So etwas wird Euch wohl sehr komisch vorkommen, weil es dort bei Euch ja schon gar keinen Wein mehr gibt und schon lange keinen so schönen, wie wir ihn hier haben. Wenn ich in Urlaub kommen sollte, ist es klar, dass ich Wein mitbringe. Vor allem werde ich sehen, etwas Marsalla mit Ei zu bekommen, der so ähnlich wie Likör schmeckt. Ein ¾-Liter kostet etwa 6,5o Mark. Also könnt Ihr Euch vielleicht denken, wie der schmeckt (wahrscheinlich war das relativ teuer).
Gestern war ich mit noch 2 Kameraden in der Kirche und habe sie mir angeschaut. Ich war recht über die Schönheit dieser Kirche erstaunt. Ich habe mich gefreut, dass ich die Kirche gesehen habe.
Aus meinem Brief spricht eine große Begeisterung für die Toscana. Diese Landschaft kann mich auch heute noch immer wieder begeistern.
Am 1. Mai 1944 habe ich wieder einem Urlauber, wahrscheinlich Willi Busch aus Recklinghausen, einen Brief mitgegeben:
1.5.1944
Liebe Eltern!
Ich liege hier schon 1½ Monate in Ruhe in der Gegend von Pisa (Perignano) und zuerst in Pescia. Wie ich sicher schon oft geschrieben habe, ist es hier eine ganz nette Gegend. Neulich war ich ein paar Tage zur Aushilfe bei der Lichtmessstelle. Ich lag auf den Bergen hinter Livorno. Es ist dort ein sehr schöner Blick auf die See und Livorno.
20.4.44
Wunderschön ist es hier oben, wo man so über die bewaldeten Höhen hinsieht, die ab und zu von grünen Wiesen unterbrochen werden. An den steilen Hängen der Südseite blühen schon viele Alpenveilchen. Das Meer hat man hier so wunderbar zu Füßen liegen, dass es eine Freude ist, auf das Meer hinauszuschauen. Es ist hier eine richtige Erholung.
25.4.44
Hier ist jetzt alles durch den Wind ausgetrocknet und kein Regen fällt mehr vom Himmel, der fast jeden Tag jetzt herrlich dunkelblau ist - viel blauer als zu Hause bei Euch. Das dunkelblaue Meer bildet mit den weißen und gelben italienischen Häusern, die oft von Palmen am Meer umgeben sind, ein wirklich herrliches Bild.
Unsere militärische Aufgabe bestand darin, die alliierte Kriegsflotte zu beobachten, die vor Livorno auf dem Mittelmeer kreuzte. Die Beobachtung erfolgte mittels Scherenfernrohr, um rechtzeitig vor einer Landung der Alliierten warnen zu können. Die absolute Luftherrschaft erlaubte den Alliierten, ihre Kriegsschiffe auch am Tage ungeniert vor unseren Augen außerhalb der Reichweite der deutschen Artillerie kreuzen zu lassen.
Hier wurde uns deutschen Soldaten wieder vor Augen geführt, dass der Krieg für uns verloren war. Hatte eine hinhaltende, Kriegsverlängernde Verteidigung noch Sinn? Aber als Soldat hat man zu gehorchen und nicht über Politik nachzudenken. Am 1. Mai 1944 schrieb ich:
1.5.1944
Vorgestern haben wir wieder einmal ganz neue Uniformen bekommen. Jetzt haben wir grün (vorher luftwaffenblau), Skihose und Mütze und Heeresrock mit Luftwaffenadler. Eine ganz fabelhafte Uniform. Hoffentlich komme ich mit dieser Uniform einmal in Urlaub. Ihr glaubt gar nicht, wie gut die Uniform sitzt. So eine gut sitzende Uniform habe ich noch nie gehabt.
Ich wundere mich heute, dass ich mich damals für die Uniform so begeistern konnte. Verständlich ist es vielleicht, weil wir, außer der neuen Tropenuniform, bisher nur von anderen Soldaten bereits getragene und gereinigte blaue Luftwaffenuniformen gehabt hatten.
Neben unserem Quartier der Villa Luisa wohnte, wie auch heute noch, die Familie Ricchi, die ich bei unserem Aufenthalt nebenan in der Villa Luisa kennen gelernt hatte. Ich hatte mich besonders mit dem Vater der Familie namens Pompeio angefreundet.
Am 15.5.44 schrieb ich:
Ich habe hier eine sehr nette Italienerfamilie kennen gelernt, von denen ich so allerhand kriege, wie Obst, Wäschewaschen usw. Also das passt mir gerade so recht. Ich kann mich mit den Italienern schon recht gut verständigen und einige haben mich schon gefragt, ob ich Italiener wäre, aber so ist es ja doch noch nicht.
Hier habe ich zum ersten Male die Familie Ricchi erwähnt. Brief Nr. 46 (meine Briefe hatte ich seit dem 1.1.44 nummeriert, damit meine Eltern eine Kontrolle hatten). Es wundert mich heute, dass ich so fleißig geschrieben habe. Bis dahin hatte ich also 1944 alle 2,4 Tage einen Brief geschrieben. Diese vielen Briefe dienen mir heute als "Tagebuch" meiner Kriegserlebnisse.
21.5.44
Heute haben wir nach langer Zeit mal wieder Kartoffeln gehabt. Aber die Makkaroni habe ich auch schon gewaltig satt. Das Haus (Echem) ist ja wohl schon ganz schön wieder voll, wo jetzt die Bombengeschädigten auch bei uns wohnen. Es ist doch jetzt sicher wieder sehr unruhig im Haus, aber es ist eben nichts dran zu machen, denn Krieg ist Krieg.
Alliierte Tiefflieger schießen unsere Fahrzeugkolonne in Brand
Unser Wetterwagen wird am 23.Mai 1944 auf der Via Aurelia bei Follonica gegenüber Elba durch Tiefflieger in Brand geschossen und brennt völlig aus.
Erst am 27.5.44 konnte ich den nächsten Brief schreiben. Unsere Division war am 23.5.44 im Alarmmarsch wieder an die Front bei Valmontone befohlen worden, weil die Alliierten am 22.5.1944 zum Großangriff angesetzt hatten, um endlich Rom zu erreichen. Wegen der Eile war auch Tagesmarsch befohlen - ein verhängnisvoller Führungsfehler. Infolge der Luftherrschaft der Alliierten erlitt besonders das Fallschirm-Panzerartillerie- Regiment H.G. durch Tiefflieger hohe Verluste, insbesondere an Material. Die Verluste an Menschen waren relativ gering. Auch unser Wetterwagen (Opel-Blitz-Lkw mit geschlossenem Kastenaufbau für die Geräte und Mannschaften) wurde auf der Via Aurelia bei Follonica gegenüber von Elba in Brand geschossen.
Soweit wir sehen konnten, war mindestens die Hälfte der Fahrzeuge unserer Beobachtungsbatterie ausgebrannt. Weil wir dadurch nicht mehr einsatzfähig waren, kamen wir nach wenigen Tagen wieder in unser altes Quartier in Perignano zurück. Von dort schrieb ich meinen Eltern.
27.5.44
Liebe Eltern!
Heute komme ich endlich dazu, Euch schnell einen Brief zu schreiben. Bei uns ist inzwischen etwas passiert, aber nicht schlimm. Kriegt nun nicht gleich einen Schreck. Es ist nämlich auch der Grund, dass ich mit Blei (Bleistift) schreibe. Meine Schrift entschuldigt bitte, denn ich bin an der rechten Hand etwas verletzt (Haut abgeschürft). Lasst bitte aus den Negativen, die noch bei Euch sind, neue Bilder machen und auch ein Bild von Heinz, denn es ist alles verloren gegangen bis auf das, was ich an und in den Taschen hatte. Ich bin jetzt wieder auf meiner alten Stelle.
Auch alles andere ist verbrannt. 2 Füllhalter, 1 Drehbleistift usw. Es ist ja sehr schade, aber Krieg ist Krieg. Es kann nun sein, dass ich längere Zeit keine Post los werden kann, weil wir hier weit von der Einheit entfernt alleine liegen.
Herzliche grüße Euer Sohn Hermann
Aus dem Brief erkenne ich eine gewisse Schicksalsergebenheit, wenn ich schreibe: Es ist alles verbrannt, es ist ja sehr schade, aber Krieg ist Krieg. Das ist ein "gesunder" Fatalismus. Ständige Todesangst wäre schlimmer gewesen. Ich bin oft gefragt worden, ob ich wohl während des Fronteinsatzes ständig Angst vor dem Tode gehabt hätte. Ich kann mich nicht daran erinnern, damals dauernd in Angst gelebt zu haben. An der Front den Verstand zu verlieren ist lebensgefährlich Sicherlich hatte man in gefährlichen Situationen ein mulmiges Gefühl. Aber ich war auch optimistisch, dass es mich wohl nicht treffen würde und das war gut so. Etwa 20 Jahre lang habe ich nach dem Kriege furchtbare Angstträume gehabt. Ich träumte immer wieder, ich wäre an der Front im Kriegseinsatz und wachte oft schweißgebadet auf. Glücklicherweise habe ich dieses Trauma allmählich überwunden.
Italien, d. 31.5.44
Liebe Eltern! Hoffentlich habt Ihr Euch bei meinem letzten Brief nicht zu sehr geängstigt. Einmal musste ich es Euch ja doch wissen lassen. Entweder früher oder später. Aber es war auch gar nicht schlimm und es ist ja auch alles gut ausgegangen u. ich liege jetzt wieder dort, wo ich vor der Abfahrt gelegen habe. Habe gute Verpflegung und oft Milch. Bei einer Familie, die ich hier kennen gelernt habe, werde ich wie ein Sohn behandelt. Jeden Sonntag muss ich mittags zum Essen kommen, weil ich dann ja Zeit habe. So habe ich am ersten Pfingsttag erst wieder 4 Eier zu essen bekommen u. Kirschen usw. Wenn ich auf einem Alltag mal komme und ich bin kaum da, habe ich schon eine große Tasse süße heiße Milch und geröstetes Brot und was natürlich in Italien immer dazu gehört, ein Glas Wein! Auch schwarzer Tee wird mir immer wieder angeboten und es schmeckt wirklich fabelhaft.
Herzliche Grüße Euer Sohn Hermann
Wie ich schon schrieb, habe ich in Perignano, wo ich mit Unterbrechungen (Livorno, Marsch nach Süden) fast 3 Monate, ca. vom 20.3. bis ca. 14.6.1944, gelegen habe, die Familie Ricchi kennen gelernt. Obwohl ich nicht immer nebenan in der Villa Luisa, sondern auch auf einem Bauernhof ca. 1 km entfernt und zuletzt im Herrenhaus oder Schloss mit schönem Park des Conte Sanminiatelli untergebracht war, war ich oft bei der Familie Ricchi zu Gast. Meine Besuche im Garten der Familie habe ich in sehr angenehmer Erinnerung.
Als wir auf der Via Aurelia ausgebrannt waren und nach Perignano zurückgekommen waren, saßen mein Kamerad Franz Heieis und ich an der Straße auf der Bordsteinkante, wohl um auf Quartierzuteilung zu warten. Da kam Pompeio, der Vater der Familie Ricchi, vorbei. Er fragte mich: "Hermann, wie kommt es, dass Du wieder hier bist?" Ich erklärte ihm, dass wir durch Tieffliegerbeschuss ausgebrannt seien und ich außer meinem Karabiner, den ich zwischen den Knien hielt, nur noch das hätte, was ich am Leibe trug.
Pompeio freute sich sehr, dass ich noch lebte und lud mich zu einem Wiedersehen-Essen in sein Haus ein. Mein ganzes Leben lang werde ich mich an die Gastfreundschaft dieser italienischen Familie mit großer Dankbarkeit erinnern. Die Mama Luisetta Ricchi hatte mir ein Festessen bereitet. Sie hatten sicherlich selber nicht allzu viel. Aber es waren extra Kaninchen geschlachtet worden. Mehrere Gänge, insbesondere auch Schokoladenpudding, hatte die Mama zubereitet. Die ganze Familie einschließlich der nächsten Verwandten nahmen an dem Festessen teil. An einer langen Tafel wurde ich als Ehrengast ganz oben an den Tisch gesetzt. Diese Ehre und Fürsorge, die die Familie Ricchi mir als völlig fremden Soldaten eines fremden Volkes erwiesen hat, werde ich nie vergessen.
Nun zurück zu den Kriegserlebnissen. Mitte Juni begann der Rückzug nach Norditalien. Am 17.6.44 schrieb ich:
17.6.1944
Heute endlich kann ich glaube ich Post loswerden. Ich habe einen Brief vom 8.6. schon bis jetzt in der Tasche getragen und konnte ihn nicht loswerden. Ich glaube sicher, dass Ihr Euch schon um mich Sorgen gemacht habt. Ganze 16 Tage (also ab 2.6.44) habe ich nicht schreiben können. Aber jetzt ist endlich der Zeitpunkt da. Ich habe auch noch keine Post von Euch seit dem 20. Mai, also bald einem Monat. Hoffentlich geht es Euch noch so gut wie mir.
Am 18.6.1944 schrieb ich dann:
Liebe Eltern!
Heute bin ich nun endlich zu meinem alten Standort zurückge- kommen (ich meinte wohl alte Einheit) und was meint Ihr wohl, es waren sage und schreibe 14 Briefe und 3 Zeitungen für mich da. Endlich nach 3 Wochen mal wieder Post. Von Euch waren 2 Briefe von Mutter vom 19.5. und vom 21.5. und 2 Briefe von Vater vom 23.5. und 28.5. dabei. Meinen herzlichen Dank für alle die schönen Mitteilungen. Hier ist es jetzt gewaltig heiß. Ich schätze auf 35 - 40° C Wärme, wenn nicht noch mehr.
Dieses lange Aussetzen der Feldpost erklärt sich aus dem zum Teil fluchtartigen Rückzug aus der Toskana in die Poebene bei Budrio. Ich kann mich daran erinnern, dass ich beim Rückzug, der übrigens wegen der Tiefflieger nur nachts stattfinden konnte, ein Pferd an der Hand geführt habe. Wir hatten ja unseren Wetterwagen-Lkw durch Tieffliegerbeschuss verloren und transportierten wohl notgedrungen einen Teil der Waffen und sonstige Ausrüstung auf Pferdewagen. Jedenfalls habe ich bei diesem Rückzug erfahren, dass der Mensch auch im Gehen schlafen kann. Ich war so müde und kaputt, dass ich zeitweise, das Pferd am Zügel haltend, nachts streckenweise einschlief und dabei seltsamerweise nicht umfiel.
Als wir das Rückzugsziel nach Tagen endlich erreicht hatten, sind meine Kameraden und ich in irgendeinem Schuppen auf Stroh eingeschlafen und wohl erst nach 24 Stunden wieder aufgewacht. Jedenfalls fehlte uns danach ein ganzer Tag.
30.6.44
Gibt es bei Euch auch so viele Fliegen wie hier, hoffentlich doch nicht, denn es ist schrecklich, man kann sich der verdammten Biester nicht erwehren. Zu Tausenden schwirren sie hier herum. Ihr glaubt gar nicht, was das für eine Plage ist. Nachts, wenn man gerade mal schlafen kann, weil es etwas kühler geworden ist, kommen die Mücken und stechen einem die Haut kaputt. Ich kann jetzt die Stiche nicht mehr zählen, so viele sind es schon. Andererseits gibt es hier furchtbar viel Obst. So esse ich jeden Tag Pfirsiche, Pflaumen, Aprikosen und Birnen. Ich habe hier jetzt schon so viele Pfirsiche gegessen, wie ich in meinen ganzen 17 Jahren dort nicht gegessen habe. Die Aprikosen schmecken mir zu wässerig. Der Weizen ist schon fast alle gemäht. Bald geht's nördlicher. Mit Urlaub ist es sehr unbestimmt, weil erst mal wieder Urlaubssperre ist. Ob ich wohl überhaupt noch mal drankomme?
9.7.44
Ich bin etwas nördlicher gekommen. Hier, wo ich jetzt bin, ist die Landschaft genau so wie bei uns, nur andere Pflanzen. Hier gibt es viel Hanf und auch Mais. Der Hanf ist fast 4 m hoch.
15.7.44
Ich wohne hier jetzt alleine mit noch einem Kameraden zusammen auf einem Bauernhof. Das Essen ist jetzt sehr gut und die Leute sind auch sehr nett. Wir kriegen Früchte und Wein von ihnen. Hier ist die Gegend genau so, wie bei uns zu Hause, wie ich wohl schon geschrieben (Po-Ebene) habe. Es gibt hier allerhand Fischteiche und wenn es dunkel werden will, will ich zum ersten Male zum Angeln.
Unsere Division wurde in dieser Zeit langsam aus dem Kampfgeschehen in Italien herausgelöst und zwischen Bologna und Ferrara versammelt. Unsere Fahrt über das Apenningebirge habe ich noch in etwas unangenehmer Erinnerung. Wir fuhren nachts, am Tage war das wegen der alliierten Tiefflieger nicht möglich, mit einem Lkw durch das teilweise sehr steile Gebirge. Ich saß mit mehreren Kameraden auf der Ladefläche, auf der auch allerhand Kriegsgerät lag.
Die Fahrt ging in dunkler Nacht bei sehr geringer Beleuchtung über steile Serpentinen hinauf auf den fast 1000 m hoch liegenden Futa-Paß. Aus Verdunklungsgründen wegen der Gefahr von Luftangriffen waren die Scheinwerfer bis auf je einen kleinen Querschlitz zugeklebt, durch den nur wenig Licht auf die Fahrbahn fiel. Als wir auf der Passhöhe angekommen waren, blockierten plötzlich die Bremsen. Der Fahrer war gezwungen, die Bremsflüssigkeit abzulassen, um die Bremsklötze zu lösen.
Hierbei bekamen wir von der rechten Seite plötzlich Gewehrfeuer, wahrscheinlich von Partisanen. Schüsse von uns in die Nacht hinaus etwa in die Richtung der Mündungsfeuer genügten, um Ruhe zu schaffen. Die Partisanen hatten wohl mehr Angst als wir . Die Fahrt vom Futa-Paß hinunter in die Ebene bei Bologna wurde dann zu einem riskanten Abenteuer. Mich wundert heute noch, dass wir nicht irgendwo in eine Schlucht gestürzt sind. Der Lkw-Fahrer hatte ja nur noch die Motorbremse für die steile, kurven- und serpentinenreiche Abfahrt. Aber es ging alles gut. Kupplung und Getriebe hielten die steile Abfahrt aus.
Bei Verona schrieb ich dann am 29.7.44 noch 2 Briefe aus Italien. Wir lagen damals in einem Schloss oder Herrenhaus mit Dachterrasse im Außenbereich von Verona und erwarteten die Verladung auf die Eisenbahn in Richtung Deutschland. Während der Zeit des Wartens auf die Verladung hatten wir Gelegenheit, im Staatstheater von Verona eine im Rahmen der Truppenbetreuung durchgeführte Konzertveranstaltung zu besuchen.
Aus dieser Zeit erinnere ich mich an folgende Begebenheit: Am 20. Juli war das misslungene Attentat auf Hitler gewesen. Seitdem wurde in der gesamten Wehrmacht allgemein, anstatt des internationalen militärischen Grußes durch Handanlegen an die Kopfbedeckung, der Hitlergruß eingeführt, der bis dahin nur in der Waffen-SS üblich war.
Wir Soldaten des Fallschirmpanzerkorps Hermann Göring waren ebenso wie andere Wehrmachtssoldaten nicht gewillt, den Hitlergruß auszuführen. Unseren Offizieren zuliebe haben wir es schließlich getan, weil sie uns darum gebeten haben. Sie sagten: Bitte, tun Sie uns den Gefallen und grüßen Sie mit dem Deutschen Gruß, weil wir persönlich sonst erheblichen Ärger bekommen. Das war die Einführung des so genannten "Deutschen Grußes" in der Wehrmacht.
Am 29.7.44 schrieb ich u.a.:
Während ich dies schreibe, beißen mich schon wieder die Fliegen und krabbeln mir im Gesicht und auf den Händen herum, während mir der Schweiß von der Stirne rinnt.
Vor dem Verladen nach Deutschland haben wir einige Tage Rast gemacht, um auf die Waggons zu warten. Hoffentlich geht's bald weiter, denn in diesem Bau ist es nicht auszuhalten. Die Mücken haben mich mindestens schon 1000 x auf Hände und Arme gestochen, so dass es wie Masern aussieht. Es ist nicht mehr auszuhalten.
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Der nächste Brief kam aus Falkenau (Eger), Tschechoslowakei mit der Zivilpost - Nachgebühr 18 Pfg. Abs. H. Lohmann, Waldenau (Sudetengau).
Auf Reise, d. 3.8.44
Liebe Eltern!
Wie Ihr seht, bin ich auf der Reise durch Deutschland, wohin weiß ich nicht. Wir sind schon durch Weiden (Opf.) gekommen u. dann durch Eger. In Weiden habe ich ein Paket an Euch abgeschickt per Express. Mir geht es noch sehr gut, was ich auch von Euch hoffe.
Meine Adresse ist dieselbe. Nur das LgPa (Luftgaupostamt) wird sich wohl mal ändern.
Herzliche Grüße Euer Sohn Hermann
Ich habe leider keine Marke!
Am 7.8. schrieb ich dann an meine Eltern mit dem Absender:
Soldat H. Lohmann L 55613 Lg Pa Posen
Liebe Eltern!
Wie Ihr wohl schon aus den Wehrmachtsberichten gehört habt, hat sich unsere Division schon im Osten bewährt. Danach sind wir also vom Süden nach dem Osten gekommen. Hier in Polen geht's mir aber trotzdem auch ganz gut. Nur man versteht die polnische Sprache nicht. Hier gibt es wenigstens mal Wälder wie in Deutschland und außerdem auch Kartoffeln u. kalt ist es jetzt auch noch nicht. ... Schickt mir bitte ein Buch deutsch - polnisch.
Viele Grüße Euer Sohn Hermann
Ende Juli bis Oktober 1944
Im großen Weichselbogen bei Radom
Am 10.8.44 schrieb ich dann:
Heute sind wir endlich wieder in unserer Stellung angekommen, so dass wir wieder einen Tisch haben und man mal wieder gut schreiben kann. Mir geht es immer noch sehr gut und der Iwan macht auch nicht viel zu schaffen, nur die Straßen sind sehr schlecht, teils versandet, teils verschlammt. Da ist es in Deutschland bedeutend besser. Auch die Polenkaten sind "toll". Noch habe ich ja keine von den netten Tierchen und hoffentlich dauert es noch ein bißchen, bis wir sie kriegen.
18.8.44
Es ist ja toll, dass die Amerikaner auf der Feldkoppel (ca. 200 m vom Dorf) eine Bombe abgeworfen haben. Aber ich glaube ja nicht, dass es Absicht gewesen ist, denn sonst hätten sie wohl mehr geworfen. Ihr könnt Euch ja ein Deckungsloch bauen, wenn Ihr es für nötig haltet. Wir haben hier auch so etwas und ich muss sagen, dass man gegen Bombensplitter 99 % sicher ist, wenn nicht gerade eine ins Loch fällt. Und das passiert unter 1.000 Fällen einmal.
Ich wundere mich heute über das, was ich damals alles nach Hause geschrieben habe. In den folgenden Briefen steht nichts Aufregendes. Im großen Weichselbogen nordostwärts Radom war es damals nach den Kämpfen um den Weichselbrückenkopf Warka-Magnuszew an der Front verhältnismäßig ruhig.
17.9.1944:
Gestern habe ich große Jagd gemacht und 42 Flöhe und 7 Läuse erlegt. Aber jetzt haben wir unsere Wäsche mit Lausemittel imprägniert, was die Läuse 3 Monate fernhalten soll. Hoffentlich hilft es gut.
Letzte Nacht hat es hier zum ersten Male gefroren. Aber wir liegen hier gut und schön warm. Im Winter werden wir den Backofen heizen und dann lass man frieren.
Ich erinnere mich daran, dass ich möglichst lange draußen im Freien geschlafen habe, obwohl ein Polenhaus, welches von der Bevölkerung verlassen war, zur Verfügung stand. Dadurch wollte ich erreichen, möglichst lange von den dort vorhandenen Plagegeistern, wie Wanzen, Flöhen und Läusen verschont zu bleiben. Als es dann nachts zu kalt wurde, bin auch ich in das Polenhaus gezogen, wo wir auf dem Holzfußboden schliefen. Sofort hatte auch ich zahlreiche Wanzen, die sich nachts von Decke und Wänden auf uns fallen ließen. Diese stinkenden Blutsauger hatte ich auch morgens noch am Körper. Wir haben sie abgesammelt und zunächst in Streichholzschachteln gesteckt, damit sie nicht wieder entwischen konnten. An den Einstichstellen erzeugten diese Biester erheblich juckende Schwellungen. Von den Plagegeistern haben mich die Wanzen am meisten gequält, obwohl die zahlreichen Flöhe neben den Kleiderläusen auch sehr unangenehm waren.
In diesem Herbst 1944 muss ich doch wohl Heimweh gehabt haben, denn ich schrieb am 3.10.1944 u.a.
3.10.1944
Mutter, Du hast schon recht, wenn Du schreibst, dass ich mir wohl kaum mehr vorstellen könne, wie es zu Hause aussieht. Ja, ich muss zugeben, dass es schon fast wirklich so ist. Obwohl ich wohl noch genau weiß, wo alles steht, so kommt mir doch alles wie ein Märchen vor, wie ein Traum, den ich heute Nacht geträumt habe.
Wer hätte im letzten Jahre im August auch gedacht, dass es 13 Monate dauern würde und wir hätten uns noch nicht wieder gesehen und wer weiß, wie lange es noch dauern wird, bis ich endlich mal das Glück habe, in die Heimat zu den Eltern zurückzukehren. In der Fremde weiß man erst richtig die Eltern und die Heimat zu schätzen. Wie etwas Heiliges kommt einem vor, was man früher kaum gesehen oder gar gekränkt hat.
Jeder Baum, jeder Strauch und jeder Graben und Fluss und jeder Acker und jede Wiese kehren wieder in Gedanken zurück und mir ist, als ob ich darüber hinwandle, noch einmal auf dem Acker bin, im Wald oder in den Wiesen. Und wenn man dann zum Heimatdorf geht, so steht es vor einem und man geht hinein und begrüßt die Leute, die von der Tagesarbeit nach Hause kommen und gelangt durch die Straßen nach Hause. Jedes Zimmer und jede Tür tut sich auf zu einem neuen Zimmer, bis man durch das ganze Haus gegangen ist und dann in den Garten und man sieht jedes Stück Erde noch so, wie man es verlassen hat. Man geht noch mal zum Bahnhof und sagt seiner Heimat noch einmal Lebewohl. Nur einer, der fern von der Heimat unter fremden Völkern gelebt hat, hat seine Heimat lieben gelernt.
Liebe Eltern, mögt Ihr denken, ich philosophiere, aber Ihr werdet es doch verstehen. Oft habe ich Euch geärgert; aber damals war ich noch zu dumm, um zu begreifen was es heißt, noch Eltern und eine Heimat zu haben. Jetzt wo ich fern der Heimat bin, habe ich es schätzen gelernt.
Wenn ich heute, nach mehr als 60 Jahren, als 84-jähriger diesen Brief lese, bin ich doch erstaunt, wie intensiv ich damals als 19 jähriger Soldat meine Liebe zur Heimat auszudrücken vermochte. Meinen Eltern habe ich damals sicherlich keinen guten Dienst erwiesen, denn sie mussten erkennen, wie sehr ich unter Heimweh litt.
Wie ich aus meinen Briefen ersehe, war es damals in Polen an der Front relativ ruhig. An meinem 19. Geburtstag am 6.10.1944 freute ich mich über die erhaltene Post. Ich bedankte mich besonders für die erhaltenen Fußlappen für meine Stiefel und Puddingpulver zum Puddingkochen, sowie ein Sternbüchlein zum beobachten der Sterne bei Nachtwachen.
Meinem Vater schrieb ich dann am 7.10.1944 zu seinem 57. Geburtstag am 17.10.1944 u.a.:
7.10.1944
Hoffentlich wird es sich bald fügen, dass wir uns alle wieder sehen und auch unser lieber Heinz aus der Gefangenschaft zurückkommt. Hoffentlich wird es gelingen, dass dieser Krieg bald ein Ende nimmt." Das war mein letzter Brief aus Polen. Wir lagen in dieser Zeit in der Nähe des Flusses Radomka nördlich Radom.
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Einsatz in Ostpreußen - Weihnachten 1944
Der Einsatz bei Trakehnen war äußerst gefährlich. Unser Eisenbahnzug wurde in der Nähe der Front rückwärts in ein Wäldchen hinein geschoben. In dieses Wäldchen schoss der Russe bereits mit der Artillerie hinein, so dass uns die Splitter der Baumkrepierer um die Ohren pfiffen. Wir mussten schleunigst sehen, dass wir aus diesem Waldstück heraus auf das freie Feld kamen. Wir hatten dort bereits die ersten Verwundeten.
Wo wir östlich von Gumbinnen ausgeladen worden sind, weiß ich nicht mehr. Die Verladung in Tilsit ist wahrscheinlich am 19.10.1944 gewesen, denn die Hauptkämpfe im Raum Trakehnen-Nemmersdorf waren vom 19. - 22.10.1944. So schrieb ich denn am 24.10.1944:
Liebe Eltern!
Heute Abend will ich Euch schnell einen kleinen Brief schreiben, denn ich hatte wenig Zeit. Mir geht es noch immer sehr gut, was ich auch von Euch hoffe. Post habe ich schon 14 Tage nicht mehr bekommen, denn sie reist uns noch immer nach. Hoffentlich bleiben wir hier noch etwas länger, denn wenn es so weiter geht, habe ich in einigen Wochen die ganze Welt gesehen. Sobald ich Zeit habe, schreibe ich mehr.
Herzliche Grüße sendet Euch Euer Sohn Hermann
25.10.1944
Endlich nach langer Zeit erhielten wir mal wieder Post aus der Heimat und zwar war es nur neue Post, d. h. die Briefe waren vom 15. u. 17.10. Ihr meint, dass es mir schlecht geht. Ihr braucht Euch keine Sorgen zu machen, denn obwohl ich wohl gerne ein Paar Strümpfe hätte, verzichte ich gerne auf ein Kissen und die Uhr. Die Uhr lasst lieber bei Euch liegen, weil sie vielleicht doch nicht ankommt und ein Kissen habe ich schon wieder.
Augenblicklich geht es mir ganz gut, denn erstens bin ich gesund und zweitens schlafen wir in Federbetten. Wir haben richtige, schöne Sessel wie zu Hause und die Stube wird von dem schönen Kachelofen schön erwärmt. Aber leider geht das elektrische Licht nicht mehr und es rummst ab und zu mal ein wenig. Sonst wäre es wohl wie im Urlaub. Also könnt Ihr sehen, dass es mir sehr gut geht.
Der Brief vom 1.11. ist am 3.11.1944 in Königsberg abgestempelt. Ich war also wohl am 2.11.1944 in Königsberg. Dort habe ich mich auch fotografieren lassen. Das Bild ist noch vorhanden. Ich schrieb:
Der Iwan, der hier vor einer Woche noch sehr rebellisch war, hat sich jetzt auch beruhigt, so dass er kaum noch schießt. Es wird wirklich allmählich Zeit, dass ich mal auf Urlaub komme, denn nun fällt schon wieder das Laub und ich bin noch nicht zu Hause gewesen. Wer hätte das auch gedacht, dass ich noch nicht in Urlaub sein würde. Aber es hilft eben nichts, denn der Feind bedroht unser deutsches Land und da muss jeder mit anpacken, um ihn wieder hinauszuschmeißen. Hoffentlich wird es gelingen!
Ja, die Moral und Verteidigungsbereitschaft der Soldaten war zu der Zeit noch sehr gut. Insbesondere wohl auch verstärkt durch den Anblick der Not der Bevölkerung, wobei die durch die sowjetischen Soldaten angerichteten Gräueltaten eine erhöhte Verteidigungsbereitschaft bewirkten. Mein Nachsatz: "Hoffentlich wird es gelingen!" lässt aber bereits ahnen, dass ich gewisse Zweifel hatte. Die Übermacht des Gegners vor allem an Menschen aber auch an Material war einfach zu groß.
Die Zeit vom 1.11.1944 bis zum 13. Januar 1945, dem Tag des erwarteten Großangriffs der roten Armee, verlief recht ruhig. Die Sowjets hatten ihre Stoßarmeen zurückgezogen, um sie nach den auch für sie verlustreichen Kämpfen aufzufüllen, neu zu ordnen und zur nächsten Angriffswelle bereitzustellen. Auch aus meinen Briefen ist das zu erkennen. Ich habe in dieser Zeit nur über die Sorgen und Freuden des normalen Soldatenlebens berichtet.
Diesen Brief nimmt ein Kamerad mit nach Hause! Er wohnt 40 km von hier. Wir liegen hier mal wieder sehr schön, so dass wir gesagt haben, wenn unsere Eltern wüssten, wie gut wir es haben, würden sie sich bestimmt nicht soviel Sorgen machen! Wir haben hier jeder ein Bett mit Sprungfedern, also alles in allem herrlich. Augenblicklich ist Zimmertemperatur 23° C bei uns. Also schon ganz schön heiß.
Sonntag, 2. Advent, d. 10.12.1944:
Liebe Eltern!
In nächster Zeit sollen wir für Dezember und Januar je 2 Paket- marken mit dem Aufdruck 2 kg erhalten, damit die Angehörigen in der Heimat zusätzliche Winterbekleidung schicken können. Man kann aber auch etwas anderes reinpacken. Wenn Ihr allerdings etwas schickt, so lasst Euch bitte eine Bescheinigung geben, dass die Sachen mir gehören, weil wir hier sonst von der Feldpolizei verdächtigt werden, dass wir die Sachen hier aus den Häusern gestohlen haben (Plünderung!).
Dieser Satz ist interessant. Es wurde also damals darauf geachtet, dass aus den Häusern der geflüchteten Zivilbevölkerung nichts entwendet wurde. Zu dem damaligen Zeitpunkt war das wohl richtig. Allerdings ist die Bevölkerung nie wieder in ihre Häuser gekommen und so ist alles den Russen in die Hände gefallen.
Am 14.12.1944 schrieb ich den Weihnachtsbrief an meine Eltern. Ich schrieb zur Beruhigung meiner Eltern einen sehr positiven Brief. Es war ja zu der Zeit auch relativ ruhig an der Front in Ostpreußen.
14.12.1944
Mir kann es gar nicht besser gehen, als jetzt hier. Ich bin gesund und habe alles, was ich brauche. Ein schönes Zimmer mit einem herrlichen Bett ist meine Wohnung. Zu essen haben wir genügend und zum Christabend kriegen wir auch noch etwas Besonderes an Verpflegung. 5 Päckchen von Euch habe ich schon bekommen, so dass es an Überraschungen nicht fehlen wird. Ich werde in diesem Jahr bestimmt ebenso gut Weihnachten feiern wie im letzten Jahr in Italien, wovon Ihr ja noch ein Bild habt.
Mögt auch Ihr in voller Gesundheit das Weihnachtsfest feiern und Du, liebe Mutter, in aller Ruhe Deinen Geburtstag (23.12.) feiern.
Herzliche Weihnachtsgrüße Euer Sohn Hermann
Am 2. Weihnachtstag, d. 26.12.1944 schrieb ich meinen Eltern einen begeisterten Bericht über das Weihnachtsfest an der Front in Ostpreußen. Ich schrieb u.a.:
26.12.1944
Am Nachmittag des Christtages kam der Weihnachtsmann der Batterie und brachte uns pro Mann eine Wurst, 1 Weihnachtsstollen, Wein, Most, Schnaps, Kleingebäck und pro Mann 10 Berliner Pfannkuchen. Außerdem noch ein paar Bonbons u. Zigaretten.
Ich finde es heute erstaunlich, was im letzten Kriegswinter, zur 6. Kriegsweihnacht, noch an Verpflegung und Sonderverpflegung für die Soldaten vorhanden war.
Um 6 Uhr nachmittags kam der Chef, um eine kleine Weihnachtsrede zu halten. Dann ging das Feiern los. Wir hatten uns einen schönen kleinen Weihnachtsbaum geholt und ihn mit Watte und etwas Lametta ausgeschmückt. Hatten aber nur 2 Lichter für den Baum. Auf den Tisch haben wir eine weiße Decke gelegt, um es schön feierlich zu machen.
So zündeten wir um 6 Uhr die Lichter an und sangen das Lied "Stille Nacht". Darauf konnten wir es nicht mehr aushalten und mussten erst mal sehen, was wir von zu Hause geschickt bekommen haben. Es ist ja einfach herrlich, was ich alles von Euch geschickt bekommen habe. Ich hatte einen großen Haufen Pakete zu öffnen, denn die 3 Pakete, die Adolf Mahnke (aus Rullstorf) mitgenommen hatte, kamen 1 Tag vor Heiligabend auch noch alle an.
Es folgt dann ein längerer Bericht über den Inhalt der Pakete. Es waren wohl ca. 10 Päckchen und Pakete, die ich zu öffnen hatte. Besonders gefreut habe ich mich wohl über den Christbaumschmuck, denn ich schrieb:
Es war sehr schön, dass Ihr mir Weihnachtsschmuck geschickt habt, denn unser Christbaum sah wirklich sehr kahl aus. Ich nahm sofort den Schmuck und schmückte den Christbaum mit den Silbersachen und den 4 Lichtern, so dass wir jetzt 6 Lichter am Baum haben.
Besonders erwähnt habe ich auch noch:
1 Paar gefütterte Handschuhe, 1 Paar Strümpfe, die ich nötig brauche, da meine erstmal furchtbar kaputtgelaufen sind und außerdem sind die italienischen Strümpfe so dünn, dass sie kaum wärmen. Ein schöner Nähbeutel mit Sachen, die ich ebenfalls nötig brauche.
Die übrigen Weihnachtsgeschenke bestanden aus: Braunkuchen, kleinen Kuchen, Schinken, ein schöner weißer Kamm, ein Film, Mettwurst, Biskuit-Kuchen, Waschlappen, 15 schöne Dickstieläpfel etc.
Kaum hatte ich die Äpfel entdeckt, als ich mir gleich einen genommen und hinein gebissen habe. Oh, war das eine Delikatesse nach so langer Zeit. Auch meinen Kameraden habe ich je einen Apfel gegeben und Ihr glaubt gar nicht, wie sehr sie sich gefreut haben. Ihr glaubt gar nicht, wie sehr ich mich zu all den schönen Dingen gefreut habe. Habt für alles meinen herzlichen Dank, es waren bestimmt sehr schöne Überraschungen, die Ihr mir zum Weihnachtsfeste geschickt habt.
Nachdem wir unsere Sachen ausgepackt hatten und unsere Sachen gegenseitig probiert hatten, sangen wir noch einige schöne Weihnachtslieder und dabei glitt unser Blick immer wieder zum Christbaum und wir dachten an die Lieben daheim und an unsere Kindheit. Wir sangen alle schönen Weihnachtslieder wie Stille Nacht, Oh du fröhliche, Süßer die Glocken, Vom Himmel hoch, Es ist ein Ros entsprungen usw. ...
Wegen Winterkleidung brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu machen, denn am 23.12., also gerade an Deinem Geburtstag, liebe Mutter, empfingen wir einen vollständigen Watteanzug zum überziehen über die Uniform. Außerdem Filzstiefel und Überhandschuhe und eine Haube, die das ganze Gesicht auch Nase, Mund und Augen bedeckt. Die Uniform ist außen mit Zeltbahn versehen, so dass dieser Anzug auch wasserdicht ist. Zum Schluss danke ich Euch noch mal recht herzlich für alles
Schöne zum Weihnachtsfest und grüße Euch recht herzlich Euer Sohn Hermann
Es ist einfach erstaunlich, was kurz vor Kriegsende noch an Ausrüstung für jeden einzelnen Soldaten vorhanden war. Welch ein Glück hatten wir damals, dass man uns so gut mit Winter- bekleidung ausrüstete. So konnten wir das kommende Chaos, den Winterkrieg 1945 in Ostpreußen, besser überstehen. Wenn es nicht in meinen Briefen stehen würde, hätte ich heute nach 64 Jahren nicht mehr für möglich gehalten, dass man uns damals im letzten Kriegswinter 1944/45 noch so gut verpflegt und mit Winterbekleidung versorgt hat.
29.12.44:
In Königsberg war es damals sehr schön, denn man konnte mal wieder ins Kino gehen u. außerdem ist dort eine Wannenbadeanstalt, wo ich mal anständig baden konnte. Hier ist noch alles sehr ruhig. Heute hat es wieder geschneit, so dass es mit der Kälte auch noch nicht schlimm ist.
1.1.45
Möge es Gott geben, dass in diesem Jahre der Krieg ein Ende nimmt und wir uns alle in Frieden wieder miteinander vereinen können, dass unser lieber Heinz wieder in die Freiheit gelangt. Nun seid recht herzlich gegrüßt und ich wünsche Euch nochmals alles Gute im neuen Jahr
Euer Sohn Hermann
Am 3.1.1945 habe ich meinem Kameraden Fritz Speckmann einen Brief in sein Heimatdorf Schulzenhof bei Insterburg mitgegeben, der von dort aus mit der Zivilpost befördert wurde. Interessant ist folgendes:
3.1.1945
So leicht werde ich hier kein Unteroffizier, denn die Stellen sind besetzt. Aber ich habe auch gar kein Interesse daran und verzichte auf die Tressen, wenn ich mit heilem Kreuz nach Hause kommen kann. Beim Wettertrupp sind wir noch alle zusammen, bis auf einen, der sich freiwillig zum fliegenden Personal gemeldet hat (Heinrich Burmester). Unser Wagen ist da. Er ist wirklich sehr schön (der neue Wetterwagen). Wir sind umgezogen u. liegen in einer Waldecke.
Forsteck 11.1.45, 23.30 Uhr:
Liebe Eltern!
Wir liegen hier dicht am Wald (Forsteck). Wir haben uns etwas von der Einheit abgesetzt, so dass wir wieder selbst kochen müssen, was ja viel besser ist, denn so kann man soviel kochen, dass man satt wird.
Ja, unser Unteroffizier und Truppführer Heinz Kasprzack kochte leidenschaftlich gerne und gut. Deshalb hat er sich auch von der Einheit abgesetzt, solange und so oft es möglich war. Ich kann mich erinnern, dass ich damals dort ostwärts von unserem Quartier mein erstes Stück Rehwild erlegte. Ich bin damals wohl im Forst Karlswalde gewesen, wo es mir nach recht mühevoller Pirsch tatsächlich gelang, mit dem Militärkarabiner eine Ricke zu erlegen. So war unsere Verpflegung durch Wildbraten erheblich aufgebessert. Leider hatten wir wenig Zeit, das zu genießen, denn am 13.1.45 begann die Großoffensive der Russen, die 3 Monate später in der totalen Vernichtung der deutschen Streitkräfte in Ostpreußen im April 1945 endete.
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Das Ende bei Balga am Frischen Haff
Am 14.1.1945 schrieb ich denn schon:
Liebe Eltern!
Ihr meint, dass ich vielleicht in Kürze Urlaub bekomme. Nein, daran glaube ich nicht mehr, denn gestern hat der Iwan wieder 4 Std. getrommelt (Artillerietrommelfeuer) und wer weiß, ob es ihm doch noch gelingt durchzubrechen. Dann ist wieder Urlaubssperre.
19.1.45:
Urlaub werde ich wohl sobald nicht bekommen, denn der Iwan greift von allen Seiten an und wer weiß ob er uns nicht noch eines Tages abschneidet, denn wir liegen gerade in einem Sack.
Zu diesem Zeitpunkt waren die russischen Armeen bereits im Norden bei Schloßberg und im Süden bei Goldap durchgebrochen und hatten die mit Waffen sehr gut ausgerüstete 2. Division des Fallschirmpanzerkorps H.G. einfach liegen lassen, um sie einzuschließen und so kampflos zum Rückzug zu zwingen. Das war eine kluge Taktik der Russen.
Mein Brief vom 1.2.1945 lässt dann, wenn auch mehr zwischen den Zeilen, auf katastrophale Zustände in Ostpreußen schließen. Ich erinnere mich an das Flüchtlingselend auf den schneeverwehten, eisglatten Straßen bei bis zu 30°Kälte. Ich schrieb:
1.2.1945
Liebe Eltern!
Heute ist endlich mal wieder Gelegenheit, dass ich Euch eine Nachricht von mir senden kann. Es muss ziemlich schnell gehen, denn um 9 Uhr geht die Post mit dem Sanitätsflugzeug weg und das ist die einzige Gelegenheit. Hier ist jetzt allerhand los, wie Ihr Euch wohl vorstellen könnt, wenn Ihr den Wehrmachtsbericht gehört habt. Ihr wisst wohl sicher, dass wir hier eingeschlossen sind, jedenfalls so fast bis auf einen kleinen Küstenstreifen. Mit dem Essen ist es noch immer recht gut. Nur das Brot wird etwas knapper, aber sitzt nicht zu Hause und macht Euch Sorgen, denn mir geht es immer noch sehr gut. Mit dem Wetter geht es auch sehr gut. Vor ein paar Tagen hatten wir fast 30°Kälte, dann gewaltiges Schneetreiben, so dass man schon gar nichts mehr sehen konnte und heute, am 1. Februar fängt es an zu tauen. Hoffentlich gibt es Matschwetter, dann kann der Iwan nicht so schnell voran.
Zum Schluss schrieb ich in diesem Brief:
Nun wünsche ich Euch alles, alles erdenklich Gute und bleibt alle gesund und munter.
Herzliche Grüße Euer Sohn Hermann
Gott sei mit uns in aller Not und Gefahr!
Dieser Brief war damals wohl eine Art Abschiedsbrief, denn wir befanden uns an der Front in Ostpreußen in einer sehr gefährlichen Lage. Wir waren in Schneesturm und Kälte auf vereisten Straßen auf dem Rückzug. Unser Wetter Lkw und andere Lkws wurden wegen Benzinmangels zu mehreren hintereinander gehängt und so von Dieselfahrzeugen weitergeschleppt. So bewegten wir uns mühsam in Richtung Zinten. Wir wussten damals nicht, welches Schicksal uns erwarten würde.
Unterwegs irgendwo in Ostpreußen auf einer verschneiten, eisglatten Straße entdeckte Fritz Speckmann aus Schulzenhof bei Insterburg in einem Flüchtlingstreck plötzlich seinen Vater. Er zog in dem Elendszug bei Schneetreiben und Eiseskälte einen Kinderschlitten hinter sich her, auf dem er seine letzte Habe verstaut hatte. Es war wirklich ein Wunder, dass der Sohn seinen Vater in diesem winterlichen Chaos zigtausender von Flüchtlingen, die sich in riesigen Trecks in Richtung Küste des Frischen Haffs und Ostsee bewegten, zufällig gefunden hat. Die Familie war bereits früher geflüchtet. Der Vater musste noch beim Volkssturm bleiben und war dadurch ganz alleine auf der Flucht.
Dem Sohn Fritz gelang es nun, seinen Vater erst einmal bei uns aufzunehmen. Als an der Front etwas Ruhe eintrat, konnte Fritz seinen Vater, nachdem Tauwetter eingesetzt hatte, an der Küste auf ein Schiff bringen. Die gesamte Familie konnte sich retten. Es war an der Front wirklich Anfang Februar wohl etwas ruhiger geworden, bevor dann am 13. März 1945 die letzte Schlacht um Ostpreußen vom Gegner eröffnet wurde.
13.2.45
Mir geht es hier noch wie immer sehr, sehr gut. Dasselbe hoffe ich auch von Euch. Ihr macht Euch vielleicht alle möglichen Sorgen, weil ihr Wunder denkt, was hier los ist. Aber vorläufig geht es uns hier noch sehr gut und braucht Euch keine Gedanken machen über uns. Hier taut es noch immer tüchtig, so dass es schon richtig matschig geworden ist, umso besser, denn dann wird wohl hoffentlich der Iwan nicht mehr so vorkommen.
15.2.45
Meine lieben Eltern!
Wieder einmal habe ich Gelegenheit Post an Euch absenden zu können, denn morgen soll Post geholt werden, weil ein Schiff mit Post angekommen sein soll. Vielleicht nimmt es auch wieder Briefe in die Heimat für unsere Angehörigen mit. Was wäre das für eine Freude, endlich nach so langer, langer Zeit (14.1.) Post von den Angehörigen aus der Heimat zu erhalten. Sonst geht es mir körperlich noch sehr gut, was ich auch von Euch hoffe.
Nun zieht schon der 2. Frühling ins deutsche Land ein und ich bin immer noch nicht zu Hause auf Urlaub gewesen. Es sind nun schon fast 18 Monate seitdem ich Euch verließ. Ich möchte wohl nur mal einen Tag Mäuschen spielen und sehen, wie sich das Heimatdorf verändert hat. Ich glaube es wird ziemlich beträchtlich sein . Wo ich stecke, wisst Ihr ja wohl. Wenn Ihr fleißig Radio gehört habt, dann habt Ihr auch gehört, dass sich das Pz. Korps H.G wieder mal besonders bewährt hat.
Gemeint war hier der Wehrmachtsbericht, der mittels Radio täglich der Bevölkerung, wenn auch geschönt, bekannt gegeben wurde. Als Ergänzung und zwecks objektiver Wahrheitsfindung hörte mein Vater ja auch noch täglich BBC London, obwohl das verboten war.
Am 21.2.45 schrieb ich eine so genannte "Ostpreußen -Feldpost Karte":
Liebe Eltern! Gestern bekamen wir diese Karten, um Euch in der Heimat möglichst schnell ein Lebenszeichen zu senden. Ihr braucht Euch um mich keine Sorgen zu machen, denn es geht mir sehr gut!
Herzliche Grüße Euer Sohn Hermann
Diese Karte mit einem markigen Spruch von Hitler und der Parole "Tapfer und Treu!" wird wohl besonders meine Mutter sehr traurig gemacht haben. Meine Mutter wird bitterlich geweint haben, als sie die Karte erhielt. Die Tränenspuren sind heute noch zu erkennen.
Die Aktion "Ostpreußenkarten" war völlig unnötig, denn mein Brief vom 6.3.1945 ist genauso wie die Karte am 8.3.1945 abgestempelt.
Am 6.3.1945 schrieb ich u.a.:
Vor einigen Tagen habe ich Euch eine Ostpreußen- Feldpostkarte geschrieben und bin seitdem nicht mehr dazu gekommen. Heute habe ich endlich mal wieder Zeit gefunden, in aller Ruhe einige Zeilen zu schreiben. Post haben wir schon seit dem 14.1. nicht bekommen, aber wir geben die Hoffnung nicht auf. Seit einigen Tagen ist es wieder Winter geworden, es friert wieder tüchtig und Schnee ist auch sehr viel gefallen. Der Iwan kommt auch nicht mehr recht vorwärts, so dass wir jetzt einigermaßen Ruhe haben.
Zu Essen haben wir auch noch genug. Nur zu rauchen gibt es nichts mehr und ich habe dummerweise das Rauchen angefangen. Ihr braucht nun nicht gleich einen Schreck zu kriegen und denken, dass ich wie ein Schlot rauche. Nein, es geht immer noch mit Maßen. Aber trotzdem ist es eine dumme Angewohnheit. Aber beim Kommiss kommt es schon ganz von alleine, denn das Rauchen beruhigt die Nerven. Mir kommt es wenigstens so vor.
Vor einigen Tagen ist uns bald ein Unglück passiert. Wir hatten einen Volltreffer am anderen Ende des Hauses, wobei fast der ganze Teil zusammengefallen ist. Also haben wir mal Glück gehabt, denn der liebe Gott hat uns beschützt. 5 m weiter und es wäre um uns geschehen gewesen.
Nun lasst es Euch beiden recht gut gehen. Es grüßt Euch recht herzlich Euer Sohn Hermann
Es waren damals dort 2 Schwerverwundete einer anderen Einheit zu beklagen, die wohl nicht überlebt haben.
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Aus Dieckert/Großmann "Der Kampf um Ostpreußen"
Die Vernichtung der 4. Armee in Natangen
Bei Sonnenschein und strahlendem Frühlingswetter begann der 25. März, so recht ein Tag für die russische Luftwaffe und den Artillerie-Beobachter. Mit Hellwerden begann dann auch ein irrsinniges Feuer auf die vorderste Linie, auf jedes Gehöft und auf jede Bodenerhebung. bis hin zur Haffküste. Einschlag folgte auf Einschlag so schnell, daß sie einzeln nicht mehr unterschieden werden konnten. Ein Bombenhagel sondergleichen prasselte auf das Fahrzeugchaos südlich Rosenberg, auf Rosenberg, Follendorf, Wolitta, Balga und Kahlholz herunter. Jede Bewegung und jedes Ziel überschütteten die Jagdbomber mit ihren Geschossen. und dann löste ein Panzerangriff den anderen ab. Eine Panik brach unter den Massen, die sich bei Rosenberg eingegraben hatten, aus. sie flüchteten an die Küste und suchten irgendeine Möglichkeit, um auf das Haff zu entkommen.
Ein Teil stürzte auf der Haffstraße in Richtung Balga davon. Und in dieses Durcheinander jagten die Russen Schuss auf Schuss, schlug Bombe auf Bombe ein und hämmerten die Bordkanonen der Tiefflieger. Ein Todesweg war es Auffanglinien wurden gebildet, um die kopflosen Massen zu sammeln, zur Vernunft und zum Halten zu bringen. So sah es an der Küste aus vorn lagen die braven Grenadiere und kämpften. Dicht hinter der vordersten Linie ostwärts Rosenberg, bei Groß- Hoppenbruch und Wolitta standen die Geschütze - die Division ,,Großdeutschland" hatte noch 52 Rohre- und jagten ihre noch vorhandenen Granaten in den anstürmenden Feind.
Jetzt hatte Hitler das Übersetzen der Reste der 4. Armee auf die Frische Nehrung genehmigt, ,,nachdem die Artillerie, Panzer, Sturmgeschütze und Sonderfahrzeuge übergesetzt seien". Doch jetzt war es zu spät. Ein schreckliches Wort, das über so vielen Entscheidungen Hitlers im zweiten Weltkrieg stand. Rosenberg und der Hafen mit Anlegesteg bildeten einen Trümmerhaufen, außerdem hatte der Gegner Rosenberg bereits besetzt. An der Küste bis hinauf nach Kahlholz gab es keine Möglichkeit mehr, schweres Gerät, Geschütze usw. zu verladen.
Der Kampf bekam zum Schluss noch einen Sinn. jetzt galt es, den Raum um Balga und Kahlholz für das Übersetzen der Reste einst so stolzer Divisionen festzuhalten. Die Soldaten mussten gerettet werden, die Unzahl der Verwundeten, die frierend, in eine Decke gehüllt, an der Steilküste lagen und auf das rettende Schiff warteten. Nur nachts konnte die Verladung und die Überfahrt erfolgen, da am Tage die russischen Flieger jeden Kahn, auch den kleinsten sofort versenkt hätten. Zwar kamen auch nachts Flugzeuge und warfen Leucht- und Sprengbomben, auch sie verursachten Verluste, aber doch verschwindend weniger als am Tage.
Bereits in der Nacht zum 26.März begann das Übersetzen mit allen verfügbaren Schiffen, Prähmen, Booten und der ,,Seeschlange". Zuerst kamen die vielen Verwundeten weg, deren Verladung recht schwierig war. Dann folgten nach einem genauen Plan die Reste der einzelnen Divisionen. An Waffen kamen nur mit: Pistolen, Karabiner und einzelne Maschinengewehre. Vorn hielten und kämpften mit zu bewundernder Standhaftigkeit Teile der verschiedensten Divisionen schlugen die angreifenden Russen zurück und verteidigten im engsten Ring um die beiden Ortschaften Balga und Kahlholz, die beiden Einladesteilen.
Oft gab es Fehlleitungen, die Schiffe kamen nicht dorthin, wohin sie bestellt. waren und mussten gesucht werden. Dadurch gab es unerwünschte Verzögerungen, die die Nerven der auf die Schiffe Wartenden strapazierten. Die Pioniere, Matrosen und Schiffer arbeiteten trotz des feindlichen Feuers unermüdlich, um alle wegzubringen. Dies gelang dank dem tapferen Ausharren der Nachtruppen. Am 29. März herrschte dicker Nebel, der den Einsatz der russischen Luftwaffe nicht zuließ. Ein Glücksfall für die Nachtruppen. 6.30 Uhr legte das letzte Schiff von der Küste ab. Der Feind besetzte sofort ganz Natangen. Zehn lange Wochen schwersten Kampfes waren vorbei, wohl die schwersten im ganze Krieg. Auf der Frischen Nehrung gab es dann idyllische Ruhe nach dem entsetzlichen Schlachtengraus. Nur schlafen, schlafen wollte jeder!
Ich habe mein Deckungsloch damals rechts des Hohlweges unmittelbar an der oberen Kante des Steilufers gegraben. Ich hatte mir damals trotz aller Hektik überlegt, dass ich dort am sichersten wäre. Alle Artilleriegeschosse und Bomben, die unmittelbar links von mir oder direkt vor mir einschlagen würden, könnten mir nicht gefährlich werden, denn sie würden vor der Explosion die Steilhänge hinabstürzen. Nur unmittelbar hinter mir auf etwa 70° des Umkreises, also knapp ¼ des umgebenden Geländes konnten mir Artilleriegranaten, Stalinorgelgeschosse und Fliegerbomben gefährlich werden. Die von See her anfliegenden russischen Schlachtflieger konnte ich rechtzeitig sehen und vor den Bordwaffen schnell in Deckung gehen. Dieser strategisch gut gelegene Punkt im Gelände hat mir sicherlich geholfen, mein Leben zu retten.
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Die Rettung über das Frische Haff
Am 25.3.1945 wurde durch die Heeresführung endlich erlaubt, den völlig sinnlos gewordenen Kampf gegen die riesige Übermacht des russischen Gegners aufzugeben. Es wurde die Rettung über das Frische Haff erlaubt. Es hieß schließlich: "Rette sich wer kann!"
In der Nacht vom 27. auf den 28.3.1945 gelang es mir dann, mich über das Haff zu retten.
Es herrschte totales Chaos am Strand. Der Russe schoss mit allem was ihm an Artillerie und Stalinorgeln zur Verfügung stand in die Menschenmassen am Strand hinein und auf die über das Haff mittels Booten und Flößen flüchtenden Soldaten. Verwundete schrieen überall. Sie wurden kaum oder gar nicht mehr versorgt. Ich dachte in diesem furchtbaren nächtlichen Chaos nur: Hoffentlich wirst du nicht verwundet, hoffentlich bist du gleich tot, wenn es dich treffen sollte.
Am 27.3.1945, es war eine dunkle, mondlose, aber sternklare Nacht, gespenstisch erleuchtet vom Feuer der Granateinschläge und der Brände am Haffufer. Das Krachen, Bersten und Heulen der Geschosse, das Schreien der Menschen, das Angstgewieher der Pferde war grausam - es war die Hölle. Trotz allem gelang es mir, auf einem Floß dem Inferno zu entkommen.
Pillau, d. 27.III.1945
Meine lieben Eltern!
Ihr habt sicher große Angst um mich ausgestanden. Aber nun ist alles überstanden, denn ich bin mit dem Rest meiner Kameraden glücklich der Hölle von Balga entronnen.
Es war wirklich furchtbar, was ich in den letzten Tagen erlebt habe. Aber gestern Abend hatte alles ein Ende. Es wurde gerade dunkel, als wir uns ein Floß aus Holz und Benzinkanistern machten und ruderten mit Hilfe von Spaten vom Land weg übers Frische Haff. Wir waren mit 10 Mann auf einem Floß und mussten alles Gepäck wegwerfen, weil es sonst zu schwer geworden wäre. Als wir so 2 Stunden gerudert waren und schon der Erschöpfung nahe, kam die Rettung. Ein Seenotboot kam auf uns zu geschossen und nahm uns auf. War das ein herrliches Gefühl, als wir nun endlich geborgen waren. Mitten in dieser Hölle erhielt ich noch 3 Briefe von Euch. 2 von Vater vom 21. u. 22.1. und von Mutter vom 10.2. Meinen allerherzlichsten Dank dafür. Es war wirklich eine Freude, als es mitten im Hexenkessel von Heiligenbeil hieß, es gibt Post und es waren 3 Briefe für mich dabei.
Was ich in den letzten Tagen gesehen habe, kann ich Euch mit Worten gar nicht schildern. Aber jetzt geht es mir wieder sehr gut, denn nun sind wir geborgen.
Hoffentlich geht es Euch auch noch einigermaßen und macht Euch der Tommy nicht zu viel Sorgen mit seinen Fliegern!
Nun seid recht herzlich gegrüßt von Eurem Sohn Hermann.
P.S.: Ich wollte mehr schreiben. Aber erstens geht es hier schlecht und zweitens bin ich sehr müde und mit den Nerven fertig.
Hier die 3 Seiten Kopien meines am Morgen nach der Rettung über das Frische Haff in Neutief/Pillau mit Bleistift geschriebenen Briefes (Auszugsweise im ZDF Film "Der Sturm" gezeigt)
In den Tagen vom 25. bis zum 29. März setzten die letzten Reste der 4. Armee, die um diese Zeit auf einen Zipfel der Halbinsel Balga zusammengedrängt waren, auf Flößen und Booten auf die Nehrung über. Es waren Divisionen, die nur noch 400 Mann zählten, "verheizt" im wahrsten Sinne des grausamen Wortes. 2530 deutsche Soldaten und 2830 Verwundete erreichten die Nehrung. Sie waren seit Wochen ohne Schutz gegen Kälte und Frost, durchnässt, fast ohne Munition, ausgelaugt vom Trommelfeuer der sowjetischen Artillerie, dem "Urrä" der sowjetischen Massenangriffe, dem Elend von Deutschen (Flüchtlinge), die nicht entkommen waren und von der russischen Infanterie gegen die deutschen Stellungen getrieben wurden.
Es herrschte ohnehin allgemein bei unserer Einheit ein chaotisches Durcheinander. Am Tage vorher waren der Batteriechef Hauptmann Meyer, Hauptwachtmeister Schroers und der techn. Offizier Gigling bei einer Lagebesprechung im Bunker durch Bombenvolltreffer ums Leben gekommen.
Am 7.7.1996 habe ich mein altes Deckungsloch am Frischen Haff in Nordostpreußen noch einmal aufgesucht. Es war aufgrund der strategisch einmaligen Lage schnell gefunden. Es ist zwar zugewachsen und etwas zusammengefallen, aber es existiert noch und war noch 50 Jahren etwa knietief. Ein weiterer Besuch meines Deckungsloches erfolgte am 22.8.2000 gemeinsam mit dem Redakteur des Deutschlandfunks Herrn Dr. Henning von Löwis of Menar nach der Einweihung des Deutschen Soldatenfriedhofes in Pillau. Darüber erschien im November 2000 ein Bericht im "Rheinischen Merkur" (Siehe auch das Hörbuch: "Der weite Weg zurück nach Balga").
Wir wurden dann von Neutief nach Pillau gebracht. Dabei fanden sich auch etwa 80 Mann von ca. 300 Mann meiner Einheit unter anderem auch Fritz Speckmann und Franz Heieis wieder ein. Wir marschierten dann durch das Samland in Richtung Fischhausen. Wir lagen dort in einem Fichtenwald. Irgendwie haben wir uns dort im Wald mit unterwegs gefundenen Ausrüstungsgegenständen wie Zeltplanen und Decken wieder eingerichtet. Wir gruben im Wald eine 10-20 cm tiefe Mulde und machten sie eben. Dieser Liegeplatz für 3-4 Kameraden wurde dann mit Fichtenreisig ausgepolstert, um nicht auf der nackten Erde liegen zu müssen. Darüber haben wir wohl mittels Fichtenstangen ein Dach gebaut, welches wir mit Fichtenreisig abgedeckt haben, um etwas vor Regen geschützt zu sein. Aus dem Wald bei Fischhausen schrieb ich Karfreitag, den 30.März 1945 meinen letzten Brief, der noch zu Hause in Echem angekommen ist mit der zukünftigen Adresse L55613 Lg.Pa. Grossenhain Bez. Dresden
Samland, d. 30.3.45, Karfreitag
Liebe Eltern!
Vorgestern erhielt ich zu meiner großen Freude Post von Euch und zwar einen Brief von Mutter vom 10.3. Meinen herzlichen Dank dafür. Es ist gut, dass Ihr wenigstens noch ein paar Briefe von mir erhalten habt. Ich habe mich direkt gewundert, dass ich schon Post vom 10.3. erhielt. Es freut mich sehr, dass es Euch noch sehr gut geht. Mir geht es auch noch sehr gut. Wir liegen zwar im Wald und haben uns eine kleine Bude gebaut, aber uns kann nichts erschüttern. Es ist schon spät, schreibe später mehr.
Herzliche Grüße Euer Sohn Hermann
Zum "Später mehr schreiben" ist es nicht gekommen. Ob ich später noch geschrieben habe, weiß ich nicht. Jedenfalls ist bei meinen Eltern kein Brief mehr von mir angekommen. Es ist ohnehin verwunderlich, dass die deutsche Feldpost fast bis zuletzt funktioniert hat.
In diesem Kurzbrief habe ich als Absender schon die neue Feldpostnummer "55613 Lg. Pa. (Luftgaupostamt) Grossenhain Bezirk Dresden" angegeben. Das zeigt mir, dass wir damals schon wussten, wohin wir verlegt werden sollten. Es sollte per Schiff über die Ostsee gehen.
Trotz allem haben wir den Mut nicht verloren. Wir hatten kein Brot. Aber neben uns im Wald lag eine pferdebespannte Trosseinheit, deren Planwagen bis oben hin mit Kommissbroten beladen waren. Obwohl wir um Brot baten, gab uns der Zahlmeister nichts. Wir griffen deshalb zu einer List. Zwei von uns Kameraden unterhielten sich mit der Wache und lenkten deren Aufmerksamkeit von den Planwagen ab. Währenddessen bestiegen andere von uns von hinten die Planwagen und nahmen sich mehrere Arme voll Brot. Das Brot wurde sofort unter den Kameraden unserer Einheit verteilt. In der letzten Phase des Rückzuges in Ostpreußen kam es oft vor, dass die Zahlmeister Verpflegungslager bis zuletzt verteidigten und an die eigene Truppe nichts herausgaben. Viele Verpflegungslager sind dadurch den Russen unversehrt in die Hände gefallen oder wurden im letzten Augenblick in die Luft gesprengt. Es ist aber auch öfter vorgekommen, dass Soldaten Zahlmeister gerade noch rechtzeitig, teilweise sogar mit Waffengewalt, gezwungen haben, die Verpflegungslager freizugeben. Wir brauchten jedenfalls kein schlechtes Gewissen zu haben, als wir uns das Brot nahmen. Mit Genehmigung meines Kameraden Karl Heinz Schmeelke vom 4.Fallschirm Panzer Grenadierregiment Hermann Göring füge ich hier einen Link auf seine Website "Der Untergang von Ostpreußen" ein.
Die Ereignisse im Heiligenbeiler Kessel besonders in Groß Hoppenbruch, Follendorf und Balga am Frischen Haff werden durch seine Schilderungen und Fotos deutlicher erkennbar als durch meine Darstellung. Kamerad Schmeelke hat mit dem PK-Berichter des Fsch Pz Korps.HG Leutnant H.Lütz zusammengearbeitet und hatte dadurch die Möglichkeit, sich im Frontgebiet auch ohne Marschbefehl frei zu bewegen. Er konnte dadurch genaue, umfangreiche Tagebuchberichte aufzeichnen. Es war ihm möglich, vieles an vielen Orten zu fotografieren und dort auch Filmaufnahmen zu machen. Uns normalen Soldaten war das Entfernen von der eigenen Truppeneinheit ohne Marschbefehl bei Todesstrafe verboten.
Am 1. Ostertag, den 1. April 1945 lagen wir noch bei Fischhausen im Wald. Dort habe ich die Deutsche Frontzeitung "Der Stoßtrupp" erhalten, die ich bis zu Hause in meiner Bekleidung zusammen mit dem letzten Brief meiner Mutter bei mir getragen habe. Auch meinen Fotoapparat habe ich bis zu Hause im Brotbeutel mitgeschleppt und so gerettet. Dieses war nur möglich, weil ich nicht in einem Gefangenenlager war.
In dieser letzten Frontzeitung ist der Kampf in Ostpreußen und die Schlacht am Frischen Haff vom Kriegsberichter A. Haas verhältnismäßig sachlich dargestellt. Allerdings stellt er trotz der katastrophalen deutschen Niederlage die Kämpfe der eigenen Kameraden und der deutschen Armee sehr positiv dar. Eine Betrachtungsweise, die auch heute noch in jeder Armee der Welt trotz eigener Niederlagen üblich ist.
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Kopien der Deutschen Frontzeitung "Der Stoßtrupp"
erhalten am Ostersonntag, den 1. April 1945 in Fischhausen/Samland/Ostpr. und bis nach Hause in der Brusttasche getragen (dadurch die Knickspuren).
Kurz nach Ostern 1945 erfolgte unser Abtransport zurück nach Pillau, um dort zwecks Rückführung der Reste der 2. Fallschirmpanzergrenadierdivision H.G. nach Mitteldeutschland auf ein Frachtschiff verladen zu werden. Unmittelbar vor der Verladung auf einen Frachter gemeinsam mit Flüchtlingen und Verwundeten erlebten wir einen sehr massiven russischen Bombenangriff. Wir standen bereits auf der Hafenmole und es gab dort kaum Deckungsmöglichkeiten als Schutz vor den umherfliegenden Bombensplittern und Trümmern. Auf der Nachbarmole, so erinnere ich mich jedenfalls, gelang es mir mit meinem Seitengewehr (auf den Karabiner für den Nahkampf aufsteckbares langes dolchartiges Messer) schnell eine flache Mulde in das Erdreich zu kratzen, um wenigstens etwas Schutz zu haben. Glücklicherweise war diese Mole nicht gepflastert. Ich blieb unverletzt. Unser Schiff lag mit Schlagseite halbversunken im Hafenbecken. Ob es viele Verwundete und Tote im Hafen und an Bord gab, habe ich damals wohl nicht erfahren. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern oder wir sind sofort vom Hafen abgezogen worden.
Am 8. April 1945 nachmittags wurden wir dann auf ein anderes Frachtschiff die Orestes verladen. Die Verladung gelang ohne Zwischenfälle. Es war ein holländisches Frachtschiff Baujahr 1918 mit 2663 BRT. An Bord sollen etwa 5.000 Menschen gewesen sein. Davon waren etwa die Hälfte Flüchtlinge. 2.500 Soldaten waren etwa an Bord. Davon etwa 1.000 Verwundete und ca. 1.500 kampffähige Soldaten, die aus Ostpreußen zwecks Einsatzes an anderer Stelle herausgezogen wurden. Darunter viele Angehörige unserer Division.
Die Menschen waren in den Frachträumen verteilt, die auf mehreren Etagen übereinander lagen. Auch auf Deck verteilt befanden sich Menschen. Ganz unten im Schiff zu liegen und völlig dem Schicksal des Schiffes ausgeliefert zu sein, war mir unheimlich. Ich hatte Angst, im Falle der Versenkung eingeschlossen zu werden und so hilflos ertrinken zu müssen. So hielt ich mich möglichst in der Nähe der obersten Ladeluke unter Deck auf, obwohl es dort relativ kalt war.
Am 9.4.45 lagen wir mit unserem Geleitzug wegen U-Bootgefahr vor Hela. Der Geleitzug soll aus 3 Transportschiffen, 2 Sicherungsbooten und 2 Minensuchbooten bestanden haben. Infolge eines russischen Bombenangriffs auf den Geleitzug fiel ein Schiff aus. Es war aber keines von den großen Frachtschiffen. Es sollen weitere Menschen an Bord gekommen sein. Ob alle gerettet wurden und wie viele es waren, habe ich nicht erfahren. Infolge der Menschenmassen an Bord habe ich damals eine Übernahme von Menschen nicht gesehen.
Endlich am 11. oder 12. April 1945 liefen wir nachts in den Hafen von Kopenhagen ein. In dieser Nacht fuhren wir an der friedensmäßig strahlend hell erleuchteten schwedischen Stadt Malmö vorbei. Mir wird stets in Erinnerung bleiben, wie diese Stadt hell erleuchtet leise an der Steuerbordseite an uns vorbeizuschweben schien. Es war wie eine Fata Morgana aus einer anderen Welt. Wir Soldaten waren damals verdreckt, die Uniformen teilweise zerrissen und dreckig. Wir waren verlaust. In dieser Situation kam uns eine so herrlich hell erleuchtete Stadt natürlich wie ein Wunder vor. So sah also der Frieden aus, nach dem wir uns so sehr sehnten. Wir schliefen dann in einer Schule in Kopenhagen. Endlich konnten wir uns dort ausstrecken und schlafen. Vor allem aber konnten wir uns endlich wieder einmal satt essen, denn es gab in Dänemark damals noch überall, auch in Gaststätten, genügend zu essen.
Nachdem Flüchtlinge und Verwundete ausgeladen waren, ging es wieder an Bord Richtung Swinemünde. Etwa am 13. oder 14.4.1945 kamen wir im Hafen von Swinemünde an. Beim Ausladen bekamen wir schon russischen Artilleriebeschuss. Der Russe war also bereits bis in den Raum Stettin vorgerückt. Das Frachtschiff, so erinnere ich mich, sah furchtbar aus. Infolge fehlender sanitärer Anlagen war das Schiff an allen Seiten mit einer gelbbraunen Kruste, die aus Menschenkot bestand, bedeckt.
Wir wurden schnell ausgeladen. Mittags ging es sofort mit einem Schnellboot weiter Richtung Stralsund. Wir fuhren mit hoher Geschwindigkeit an der Küste entlang. Es waren etwa 100 Soldaten an Bord. Viele konnten das heftige Auf und Ab des Bootes in den Wellen nicht vertragen. Sie wurden schwer seekrank. Ich denke da besonders an unseren österreichischen Leutnant Männel, der während der ganzen Fahrt todkrank über der Reling hing. Ich bin glücklicherweise nicht seekrank geworden.
In Stralsund wurden wir kurzfristig in der Frankenkaserne untergebracht. Dort wurden wir auch endlich von den sehr lästigen Kleiderläusen befreit. Das Läuseabsuchen und -knacken waren wir auch wirklich leid. Wir waren so verlaust, dass die Läuse in Scharen aus dem Nackenbereich herauskommend auf dem Kragen der Uniform herumspazierten, die wir uns dann gegenseitig absuchten. Endlich wurden wir nun davon erlöst. Alle Kleider einschließlich Unterwäsche und Uniform wurden abgegeben und stark erhitzt. Unterdessen konnten wir endlich unseren Körper unter den Duschen von dem Schmutz des Ostpreußeneinsatzes und restlichen Läusen befreien. Oh, war das eine Wohltat.
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In russischer Gefangenschaft, nachts Flucht aus der Gefangenenkolonne
Etwa am 17.4.1945 wurden die geretteten Soldaten der Fsch. Pz. Gren. Div. 2 H.G. zwecks Neuaufstellung im Raum Dresden zunächst mit der Eisenbahn über Berlin nach Jüterbog gebracht. Ich kann mich daran erinnern, dass wir in Berlin im Stettiner Bahnhof ausgestiegen sind. Wir sind dann dort über die umher liegenden Trümmer, die von Bombenangriffen herrührten, durch irgendwelche Unterführungen gestolpert, um dann den Zug nach Jüterbog zu erreichen.
Von Jüterbog aus zogen wir per Anhalter und teilweise zu Fuß weiter in den Raum Dresden-Großenhain. Auf diesem Weg hielt uns der "Heldenklau" an und wollte uns in so genannte Alarmeinheiten zwecks Fronteinsatzes im Raum Berlin stecken. Heldenklau nannten wir Soldaten die Angehörigen der Feldgendarmerie, die die Aufgabe hatten, versprengte und zurückgehende Soldaten aufzugreifen und an die Front zu schicken. In Ostpreußen habe ich gesehen, dass eigene deutsche Soldaten, angeblich wegen Feigheit vor dem Feinde, öffentlich erhängt worden waren. Um den Hals trugen sie ein Schild mit der Aufschrift "Ich war ein Feigling". Darunter am Baum war oft die Parole "Sieg oder Sibirien" angebracht.
Das war sehr makaber. Wenn eine militärische Einheit soweit demoralisiert ist, dass sie ihre eigenen Soldaten öffentlich erhängt, um die Truppe zu disziplinieren, ist das Ende einer solchen Armee absehbar. Uns ließ man in Mitteldeutschland weiterziehen. Es war wohl bekannt, dass eine Neuaufstellung und Auffrischung der Fallschirmpanzergrenadierdivision 2 H.G. im Bezirk Dresden geplant war.
Seit unserem Marsch durch Sachsen weiß ich auch, was eine "Bemme" ist. Unterwegs fragten uns Frauen: "Jungs, wollt Ihr 'ne Bemme ham?" Zunächst sahen wir uns fragend an, bis wir begriffen hatten, dass eine "Bemme" ein belegtes Butterbrot ist. Gerne haben wir hungrigen Soldaten die belegten Brote von der Bevölkerung genommen. Es war rührend, wie für uns gesorgt wurde. Damals war diese Hilfeleistung selbstverständlich. Jeder hatte irgendwelche Angehörigen, die irgendwo im Krieg waren.
Bis Ende April gelangten wir in den Raum Stadt Wehlen - Dorf Wehlen an der Elbe in der Nähe des Elbsandsteingebirges. Dort wurden wir 2 Wochen vor Kriegsende völlig neu ausgerüstet. Wir haben uns gewundert, dass noch soviel Material vorhanden war. Für uns Soldaten gab es alles neu: Unterwäsche, neue feste Lederschuhe, fabrikneue feldgraue Uniform mit Luftwaffenadler und "Hermann Göring" Ärmelband sowie einen neuen Luftwaffenrucksack, Kochgeschirr, Gasmaske, Gasplane und Brotbeutel mit Feldflasche usw. An neuen Infanteriewaffen gab es für uns Artilleristen: Schnellfeuergewehre, Maschinenpistolen und Pistolen. Das Artillerieregiment wurde mit neuen leichten Feldhaubitzen (LFH 10,5 cm) und schweren Feldhaubitzen (SFH 15 cm) als Artilleriegeschütze ausgerüstet.
Der Nationalsozialismus war nach dem Tod Hitlers am 1. Mai 1945 ohnehin in Auflösung begriffen und wir hofften, dass sich der Stalinismus in Russland dann ebenfalls auflösen würde. Leider wurde damals nichts daraus. Es wäre der Menschheit viel Leid erspart geblieben.
Am 2. Mai 1945 kapitulierte Berlin. In den nächsten Tagen wurden wir zunächst zum "Weißen Hirsch", einem Ortsteil Dresdens nördlich der Elbe verlegt. Dann fuhren wir durch das im Februar 1945 total zerstörte Stadtgebiet Dresdens nach Pirna südlich der Elbe. Oberhalb der Stadt Pirna auf dem Sonnenstein, nahe des dortigen Kleingartengeländes, richteten wir unsere Artillerie-Beobachtungsgestelle ein. Als ich mich in diesen Tagen durch das Gelände bewegte und die russischen Schlachtflieger fliegen und schießen sah, dachte ich bei mir: "Der Krieg muss doch nun bald vorbei sein. Hoffentlich kriegst du jetzt nicht noch eine verpasst."
Außer russischen Flugzeugen war am Himmel kaum ein deutsches Flugzeug zu sehen. Allerdings sahen wir dort die ersten deutschen Düsenjagdflugzeuge Me 262 noch im Einsatz. Dieses Jagdflugzeug raste so schnell durch den Himmel, dass es schon verschwunden war, bevor wir es bemerkten. Diese Flugzeuge kamen aber viel zu spät zum Einsatz. Es gab damals allerdings keine gleichwertigen Gegner für diese Jagdflugzeuge.
Etwa am 6. Mai 1945 wurde ich mit noch einem Kameraden in Pirna in die dem Kleingartengelände gegenüberliegenden Kasernen geschickt, um von dort ein Scherenfernrohr zu holen. Als wir mit dem Scherenfernrohr über die Straße zurück wollten, sahen wir bereits die russischen Infanteriespitzen beiderseitig unter den Bäumen an den Straßenrändern auf uns zukommen. Darauf zu schießen, wäre sinnlos gewesen. Es wurde Zeit, dass wir schnell über die Straße rannten, um im Kleingartengelände zu verschwinden. So gelangten wir noch gerade unbehelligt zu unserer VB-Stelle. Der Russe war dabei, Pirna zu besetzen. In der ganzen Stadt schrieen die drangsalierten Frauen. Dieses furchtbare Schreien und Wehklagen der Bevölkerung, besonders der Frauen, welches von unten aus dem Tal direkt in unheimlicher Lautstärke zu uns auf den Berg hinauf drang, höre ich heute noch. Ich werde dieses furchtbare Erlebnis nicht los, zumal wir nicht helfen konnten.
1991 war ich wieder an diesem Ort oberhalb der Kleingartenkolonie und tatsächlich war jetzt der Verkehrslärm aus der im Tal liegenden Stadt Pirna dort oben außerordentlich laut zu hören.
Am 7.5.1945 bekamen wir den Befehl, uns in Richtung Tschechien zurückzuziehen. Wir sollten uns bei Außig zum Amerikaner durchschlagen. Dieser Befehl kam vom kommandierenden General Schörner, bevor er sich mit einem "Fieseler Storch", einem Kleinflugzeug, absetzte und sich persönlich in Sicherheit brachte.
Am 8.5.1945 kam der Befehl zur Kapitulation, welche am 9.5.1945 um 0.01 Uhr in Kraft trat.
Dieser Befehl hat uns, unterwegs in der Tschechei, direkt überhaupt nicht erreicht. Aber es sprach sich unter den Soldaten herum, dass Deutschland kapituliert habe und damit der Krieg vorbei sei. Wir waren zwar froh, dass das Kämpfen und Sterben nun endlich vorbei war, aber frei und glücklich fühlten wir uns nicht. Wir wussten nicht, welches Schicksal uns erwarten würde. Wir glaubten auch nicht, dass der Russe uns nach der Kapitulation, wie es das internationale Kriegsrecht gemäß Haager Landkriegsordnung (LKO) vorschreibt, nach der Entwaffnung unbehelligt nach Hause gehen lassen würde. Auch die anderen Alliierten beachteten die Haager Landkriegsordnung nicht. Diese wurde 1907 in den Haager Friedenskonferenzen, welche auf Anregung des russischen Zaren Nikolaus II stattfanden, international beschlossen. In der LKO wurden u.a. völkerrechtliche Richtlinien über den Schutz der Zivilbevölkerung, Behandlung der Kriegsgefangenen, Parlamentäre, Spione, die Rechte von Besatzungsmächten u.ä. aufgestellt. Gemäß LKO hätten nach der Kapitulation also nach Kriegsende keine Kriegsgefangenen mehr gemacht werden dürfen, sondern die Kriegsgegner hätten die deutschen Soldaten nach Entwaffnung ungehindert nach Hause gehen lassen müssen.
In der Tschechei kamen wir nicht weit. Den Russen bei Außig zu entkommen, war unmöglich. Als Berlin am 2. Mai 1945 kapituliert hatte, wurden russische Truppen frei, von denen wir dann sehr schnell eingeschlossen wurden. Es gab also kein entrinnen. Wir marschierten mit ca. 70 Mann innerhalb des Kessels bei Zinnwald über die Grenze zurück nach Deutschland. Wir waren infanteristisch noch voll bewaffnet und wurden deshalb von der tschechischen Bevölkerung, die an den Straßen stand, nicht angegriffen.
Im Osterzgebirge zogen wir uns in die Bergwälder zurück, um erst mal vor dem Zugriff der russischen Truppen in Sicherheit zu sein und unsere Lage in Ruhe klären zu können. Wir zogen in den Bergwäldern westwärts bis wir an ein Bergdorf kamen. Dort sahen wir, dass Frauen dabei waren, Bettlaken zu zerreißen, um weiße Armbinden für die Soldaten daraus zu machen. Wir sahen auch, dass am Ende des bergab führenden Weges ein russischer Soldat stand. Er ließ alle deutschen Soldaten, die eine weiße Armbinde hatten, nach kurzer Kontrolle unbehelligt weitergehen. Daraufhin fassten die meisten von uns und so auch ich den Mut, zu dem russischen Kommissar hinunterzugehen. Ich baute meine Maschinenpistole auseinander und warf die Einzelteile in verschiedene Richtungen in die Büsche. Von den Frauen erhielt ich auch eine weiße Armbinde und ging mit gemischten Gefühlen hinunter zu dem Russen. Der fragte in bestem Deutsch: "Du noch Waffen, Munition?" Ich sagte "nein". "Dann alle nach Hause nach Mutter". Das Hinübergehen zu den Russen ging ja reibungsloser, als ich dachte. So zogen wir deutschen Soldaten dann entgegengesetzt zu den russischen Truppen auf derselben Straße. Die Russen zogen nach Süden Richtung Tschechoslowakei und wir gen Westen. Es gab verhältnismäßig wenig Übergriffe durch die Russen. Ich musste nur einmal irgendein Kraftfahrzeug mit anschieben helfen, worüber ich mich irgendwie doch innerlich erregte. Aber was sollte irgendeine Gegenreaktion. Wir mussten uns in unserer Lage eben fügen.
Sobald wir konnten, verließen wir die Hauptstraße und zogen auf Nebenstraßen durch die Berge. Unterwegs hatten wir immer wieder in den Straßengräben viele Tote liegen sehen. Es waren vielfach erschossene Angehörige von Polizeieinheiten, was an der hellgrünen Uniform zu erkennen war. Warum die Russen sie erschossen hatten, habe ich nicht erfahren können. Ich hatte sicherheitshalber mein Ärmelband mit der Aufschrift "Hermann Göring" abgetrennt und weggeworfen, um nicht sofort als Angehöriger dieser Eliteeinheit erkannt zu werden. Auch habe ich dann den Luftwaffenadler aus der feldgrauen Uniform herausgetrennt, denn es gab in der deutschen Wehrmacht nur eine Einheit, die feldgraue Uniform mit Luftwaffenadler trug, nämlich unser Fallschirmpanzerkorps H.G. Bei uns ging immer das Gerücht, dass bei den Russen ein Kopfgeld auf Angehörige des Fallschirmpanzerkorps H.G. ausgesetzt sei. Dies sei der Fall, seitdem die russische Eliteeinheit "Die Stalinschüler", die grundsätzlich keine Gefangenen machten, sondern alle Gegner vernichteten, von unseren Panzergrenadieren auch dementsprechend bekämpft und bei Warschau total aufgerieben wurde.
Aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrte Kameraden haben berichtet, dass alle Angehörigen des Fallschirmpanzerkorps sofort ohne Verhandlung zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurden. Auch mein Soldbuch und meine Erkennungsmarke habe ich damals weggeworfen, um in Gefangenschaft nicht als H.G.-Mann erkannt oder sofort erschossen zu werden. Im Falle meines Todes bei Kriegsende wäre auch ich genauso wie mein Bruder vermisst gewesen, weil ich nicht mehr zu identifizieren gewesen wäre.
Unterwegs im Erzgebirge sind mir öfter Soldaten begegnet, denen die Russen die guten Lederschuhe ausgezogen hatten und die sich nun mit den russischen Schuhen herumquälten oder auf Socken herumliefen, weil die Schuhe nicht passten. Meine neuen Schuhe haben die Russen auch wiederholt angeschaut. Aber meine Schuhe (Größe 47) waren ihnen wohl zu groß und so behielt ich meine Schuhe.
An der Ausrüstung der nach Süden ziehenden russischen Truppen konnte man erkennen, dass auch sie am Ende waren. Es waren wenig Motorfahrzeuge zu sehen. Vorwiegend zogen Pferdefuhrwerke, vor allem Panjewagen, mit vielen wohl erbeuteten Pferden und Massen von Soldaten aller russischen und asiatischen Rassen in erdbraunen Uniformen die Straßen entlang.
Am Ende dieses Tages gegen Abend verfolgten uns plötzlich russische Soldaten und riefen uns etwas zu. Wir begriffen nicht, was wir sollten, denn es war uns doch gesagt worden, wir könnten alle "nach Hause nach Mutter" gehen. Es wurde aber ernst. Die Russen schlugen uns mit Gewehrkolben ins Kreuz und riefen dabei: "Dawai, dawai". Sie trieben uns auf eine große Wiese, wo schon sehr viele Menschen lagerten. Im ersten Moment dachte ich noch, es seien alles befreite Gefangene. Nein, dann erkannte ich, dass es wohl an die tausend oder noch mehr deutsche Soldaten waren, die zusammengetrieben worden waren und dort auf der Erde saßen. - Wir waren in russischer Kriegsgefangenschaft.
Inmitten dieser Masse deutscher Soldaten saß ich nun auch auf dem Rasen und wartete, was nun wohl mit uns geschehen würde. Es war wohl etwa der 10. Mai 1945. Ich fand noch etwas Maschinenpistolenmunition in den Taschen und vergrub die Patronen in der Erde, um nicht erschossen zu werden, wenn die Munition gefunden werden würde.
Spätabends kam ein Kommissar, der in gutem Deutsch zu uns sprach. Er sagte u.a. wörtlich: "Ihr kommt jetzt in ein Lager, kriegt Verpflegung und Papiere und dann alle nach Chause nach Mutter." Das hörte sich ja alles sehr positiv und beruhigend an. Aber ich glaubte dem Russen nicht. Ich war misstrauisch. Sofort begann das Aufstellen der gefangenen Soldaten in 5er-Reihen und so marschierten wir dann in die Nacht hinaus. Ich marschierte aus Sicherheitsgründen in der mittelsten Reihe. Ich dachte mir: "Wenn die Marschkolonne sich auflösen sollte, weil viele Soldaten zu fliehen versuchen, dann werden die Russen an der Kolonne entlang schießen, um die Gefangenen zusammen zu halten. Du bist dann erst mal durch die Außenreihen geschützt."
Aber es geschah nichts dergleichen. Im Gegenteil, die deutschen Soldaten freuten sich, dass nun endlich der Krieg vorbei war. Es war ihnen ja auch versprochen worden, dass sie alle "nach Hause nach Mutter" kämen. Auf dem nächtlichen Marsch sangen die deutschen Soldaten die schönsten Soldatenlieder mit einer Inbrunst, wie ich sie auf dem Kasernenhof oder auf Ausmärschen nie gehört habe. Die Russen saßen abseits der Straßen an Lagerfeuern und schossen vor Freude in die Luft und sangen ebenfalls. Es war eine irgendwie befreiende aber dennoch bedrückende Stimmung. Auf der einen Seite feierten die Sieger ihren Triumph und auf der anderen Seite zogen die Gefangenen, die besiegten Deutschen in die Nacht hinaus. Was sollte werden, denn ich traute den Russen nicht. So marschierten wir immer weiter in die Nacht hinein. Unterwegs konnte ich an den Straßenschildern erkennen, dass der Marsch Richtung Dresden ging.
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Flucht aus der Kriegsgefangenschaft
Flucht aus der Gefangenenkolonne
Irgendwann so um Mitternacht musste die Gefangenenkolonne halten, weil auf der Hauptstraße vor uns Panzer fuhren. Die russischen Soldaten bewachten uns recht locker. Sie dachten wohl, dass kaum jemand fliehen würde, weil die deutschen Soldaten ja auch so schön gesungen hatten. Wir hielten in einem Wald. Rechts neben uns war eine dichte Fichtenschonung. Ich dachte, jetzt ist Gelegenheit zur Flucht und sagte zu meinen rechten Nebenmännern, die ich nicht kannte: "Lasst mich mal ins Außenglied." "Was willst Du denn?" "Ich will abhauen, ich trau dem Iwan nicht." "Welch ein Unsinn, warum willst Du Dich in Gefahr begeben, wir kommen doch alle nach Hause".
Keiner wollte mitkommen. Vielleicht war das mein Glück, denn die Gefangenenkolonne fing nicht an, sich aufzulösen. Alle blieben, dem Herdentrieb des Menschen gehorchend, beim großen Haufen. Jedenfalls habe ich als 19jähriger ganz alleine die Flucht gewagt. Ich habe mich langsam auf den Boden in die Hocke gesetzt und als nichts geschah, bin ich auf allen Vieren langsam, jedes Knacken der Zweige vermeidend, durch den Straßengraben etwa 100 Meter weit in die Fichtendickung gekrochen. Dort habe ich mich mit meinem Mantel zugedeckt und bin wohl infolge der Übermüdung sofort eingeschlafen. Als ich aufwachte, war es bereits hell geworden und mir war kalt. Die Sonne ging gerade auf. Es war wohl der 11. Mai 1945. Ich schlich vorsichtig an die Straße und nahm Deckung hinter einem aufgeschichteten Brennholzstapel. Der ganze nächtliche Spuk war verschwunden. Es war kein gefangener deutscher Soldat mehr zu sehen. Nur ab und zu fuhr ein russischer Panjewagen vorbei: Ich war allein.
Wir sahen, wie etwa 300 m weiter deutsche Soldaten von den Russen aufgefangen und zu einer Gefangenenkolonne zusammengestellt wurden. Es waren wohl schon ca. 200 Soldaten versammelt. Als meine Begleiter das sahen, wollten auch sie möglichst schnell wieder im Wald verschwinden. Wir huschten also alle vier schnell über die Brücke und verschwanden im Wald. Da ich eine Landkarte hatte und diese auch lesen konnte, vertrauten sich die 3 Kameraden nun meiner Führung an. Der Trick der Russen, die deutschen Soldaten zunächst frei laufen zu lassen, wirkte sich für die russische Seite sehr positiv aus. Die deutschen Soldaten kamen freiwillig aus den Wäldern und von den Bergen. Bei Gewaltanwendung hätte es sicherlich noch blutige Kämpfe gegeben, denn die deutschen Soldaten waren ja noch infanteristisch voll bewaffnet und hatten Angst vor der russischen Gefangenschaft.
Mit meinen 3 Kameraden zog ich nun durch die Wälder und Felder des Erzgebirges. Dabei vermied ich immer die Nähe von Dörfern und Siedlungen. Als Verpflegung suchten wir die Anfang Mai bereits gepflanzten Kartoffeln aus der Erde und kochten diese in unseren Kochgeschirren ab. Dabei achteten wir darauf, dass die Rauchentwicklung möglichst gering war, um uns nicht zu verraten. Trockenes Brennmaterial ließ sich infolge des schönen Wetters im Mai 1945 leicht finden und Wasser gab es in den Bergbächen mehr als genug. Mit Pellkartoffeln und Wasser konnte man überleben.
In das amerikanische Besatzungsgebiet
Irgendwann, vielleicht so nach 2 bis 3 Tagen erreichten wir die amerikanische Demarkationslinie irgendwo zwischen Chemnitz und Glauchau in Sachsen. Soweit waren damals die Amerikaner vorgerückt. Erst im Juli wurden Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg von den Westalliierten geräumt und den Russen übergeben, um dafür Teile von Berlin zu bekommen. Dort sahen wir an einer Straße von weitem einen amerikanischen Grenzposten.
Es war ein Amerikaner, der ganz alleine an einem Grenzschlagbaum stand. Ich erklärte mich bereit, mit dem Amerikaner zu sprechen, da ich ja von der Schule her etwas Englisch konnte. Wir gingen vorsichtig vor. Meine 3 Kameraden ließ ich hinter einer Scheune warten und zwar so, dass sie nicht gesehen wurden. Mein Gepäck legte ich bei den Kameraden ab. Es bestand ohnehin nur noch aus Brotbeutel, Feldflasche und Kochgeschirr. Falls der Amerikaner mich festhalten würde, wollte ich ihn bitten, mein Gepäck noch eben holen zu dürfen, um dann vielleicht noch zu entwischen. So hatte ich mir das gedacht. Es kam aber ganz anders. Ich fragte den Amerikaner, ob ich dort auf der Straße mit weiteren Kameraden in Richtung Heimat weiter gehen dürfe. Er sagte mir, dass wir Soldaten jetzt nicht mehr laufen müssten. Abends um 21 Uhr käme ein Lkw und würde uns abholen und in ein Lager bringen. Wir sollten uns dann bei ihm melden.
Der amerikanische Soldat hatte offensichtlich Langeeile. Während unseres Gespräches hatte er leere Konservendosen an der Straßenböschung aufgesellt. Nun fing er an, mit seiner Pistole auf die leeren Dosen zu schießen. Um mich kümmerte er sich nicht mehr, was mir sehr lieb war. Ich ging also zu meinen Kameraden, die ja hinter der Scheune warten sollten, zurück. Ich fand nur noch den Obergefreiten vor. Die beiden Feldwebel waren geflohen, weil sie wohl meinten, der Amerikaner habe mich erschossen.
Ich entfernte mich jetzt schnell mit meinem verbliebenen Kameraden Heinrich Müller aus Barntrup (Lippe) nach Süden parallel zur amerikanischen Demarkationslinie von dem amerikanischen Wachtposten. Im nächsten Dorf sprachen wir jemanden an, um zu erfahren, wo die amerikanischen Posten an der Demarkationslinie ständen. Es stellte sich heraus, dass der angesprochene Mann der Volksschullehrer des Dorfes war. Ich bat ihn nun, die Standorte der Posten in meine Karte einzuzeichnen, um nicht aufzulaufen und geschnappt zu werden. Der Lehrer wusste eine bessere Lösung. Er gab uns zwei Schüler als Begleitung mit, die sich in der Gegend genau auskannten. Sie schleusten uns durch die amerikanische Demarkationslinie hindurch. So kamen wir unbehelligt in das amerikanisch besetzte Gebiet.
Wir wanderten nun Richtung Altenburg-Zeitz. Wir gingen nur bei Tageslicht. Nachts hätten wir uns nicht orientieren können und wären vielleicht unversehens an eine Wache geraten. Die Gefahr dann erschossen zu werden war zu groß, zumal ab 21 Uhr Sperrstunde war. Nach 21 Uhr durfte sich kein Deutscher mehr auf der Straße aufhalten, so der Befehl der Besatzungsmacht. Wir vermieden bei unserer Wanderung durch Deutschland alle größeren Orte und alle Hauptstraßen. Wir benutzten möglichst Feldwege.
Obwohl es der deutschen Bevölkerung bei Todesstrafe verboten war, einen deutschen Soldaten zu beherbergen, fanden wir abends immer irgendwo ein Quartier. Unterwegs wurden wir auch überall zum Essen eingeladen oder man gab uns belegte Brote mit. Es war wunderbar, wie mutig und selbstlos die deutsche Bevölkerung ihren heimwärts durch die Lande ziehenden Soldaten damals half. Jeder hatte ja auch irgendwelche Angehörige, die vielleicht das gleiche Schicksal hatten und auch irgendwo versuchten, ohne Gefangenschaft nach Hause zu kommen.
So zogen wir denn nördlich Altenburg vorbei. Dom und Schloss lagen links hoch oben auf dem Berg. Weiter ging es südlich Meuselwitz und nördlich Zeitz über die Weiße Elster. Hier gab es Probleme. Um den Fluss unbemerkt zu überqueren, mussten wir ihn durchwaten. Mit trockenen Kleidern durch den Fluss zu kommen war wegen des hohen Wasserstandes nur möglich, wenn wir alle Kleider auszogen und diese zu einem Bündel zusammenbanden. Dieses Kleiderbündel auf dem Kopf tragend gelangten wir unbekleidet trotz starker Strömung und kalten Wassers wohlbehalten an das andere Ufer.
Weiter ging es in Richtung Harz zur Saale zwischen Naumburg und Weißenfels. Anhand der Karte überlegte ich, wie wir am besten und ungeschoren zwischen den beiden Städten hindurch über die Saale kommen könnten. Landkarten der jeweiligen Gegend erhielt ich entweder von der Bevölkerung oder von Soldaten, die ich unterwegs traf. Es wurde getauscht. Soldaten, die nach Süden gingen, erhielten meine Karte und ich bekam eine nördlichere dafür. Ich entschloss mich, es bei der Öblitz-Mühle, die ja nach der Karte zu urteilen, ziemlich einsam in der Mitte zwischen beiden Städten lag, zu versuchen. Also zogen wir auf Feldwegen dorthin. Wir standen dann doch etwas ratlos an der damals reißenden, Hochwasser führenden Saale. Uns kamen Zweifel, ob wir es schaffen würden, diesen Fluss am nächsten Tag zu durchschwimmen.
An der Stelle war jetzt ein Wochenendhausgebiet entstanden. Die Wirtin konnte sich aber noch genau daran erinnern. Sie sagte: "Auch ihr Vater habe viele Soldaten über den Fluss gebracht. Die Polen, die damals in der Mühle waren, wären ehemalige Kriegsgefangene oder Zwangsarbeiter gewesen. Der damalige Pächter des Gutes habe seine Polen immer gut behandelt und deshalb seien sie damals auch so freundlich und hilfsbereit gegenüber deutschen Soldaten gewesen."
Welch ein Glück haben wir doch im Mai 1945 gehabt.
Auf der anderen Seite der Saale gingen wir den steilen Hang hinauf. Oben angekommen, begegneten wir nach einiger Zeit einigen Frauen, die große geflochtene Kiepen auf dem Rücken trugen. Sie wollten darin vom Feld Grünfutter für ihr Vieh holen. Als wir mit ihnen sprachen, meinten sie, dass es für uns doch sicherer sei, die Uniform gegen Zivilzeug umzutauschen.
So gingen sie zum Dorf zurück und brachten uns in ihren großen Tragekiepen versteckt Zivilsachen. Für mich war das wegen meiner Länge nicht so einfach. Aber die Frauen wussten Rat. Sie brachten mir eine Stiefelhose und Wickelgamaschen mit. Die Wickelgamaschen bestanden aus einem vielleicht 1 m langen und 10 cm breiten Stoffstreifen. Die fehlende Hosenlänge konnte ich damit durch umwickeln der Beine bis zu den Schuhen ausgleichen. Die Jacke passte auch irgendwie. Ich glaube, es war so eine Art Windjacke. Dazu erhielt ich einen großen, breitrandigen Schlapphut. Nach dem Kleiderwechsel sah ich wohl eher einer Vogelscheuche als einem jungen Burschen ähnlich. Leider ist das Foto, das ich von Richard Klinge später in Echem machen ließ, verloren gegangen. Die Uniformen legten die Frauen in ihre Kiepen und packten Grünfutter oben drauf. So konnten die Wehrmachtsuniformen in ihren Tragekiepen nicht entdeckt werden. Heinrich und ich waren nun Zivilisten. Kurz nach dem Kleiderwechsel oder Zeugumtausch, wie wir es nannten, trennten sich unsere Wege. Heinrich Müller zog weiter nach Barntrup in Westfalen und ich in Richtung Harz.
Ich war nun ganz alleine und marschierte tapfer weiter der Heimat entgegen. Vorsicht war dabei geboten. Die Amerikaner suchten mittels Flugzeugen, die mit Jeeps in Funkkontakt standen, umhervagabundierende deutsche Soldaten. Diese wurden dann eingefangen und in Gefangenenlager gebracht. Ich habe das von Waldrändern aus öfter beobachtet und war deshalb auf der Hut. Sobald ich ein Flugzeug brummen hörte, ging ich in Fliegerdeckung, das heißt ich stellte mich schnell irgendwo unter einen Baum oder ging in ein Gehölz, sofern das in der Nähe war, um aus der Luft nicht gesehen zu werden.
Einmal kurz vor dem Harz begegnete ich plötzlich mitten im Wald einem bis an die Zähne bewaffneten amerikanischen Soldaten. Ich saß gerade auf einem Baumstamm und verzehrte ein Butterbrot. Glücklicherweise hatte ich ja schon Zivilklamotten an. Plötzlich stand er vor mir und ich konnte nicht mehr ausweichen. Offensichtlich hatte er sich wohl im Wald etwas verlaufen. Er fragte, wo ich herkäme. Ich antwortete, ich wäre bei meinem Onkel in dem Forsthaus, wo er ja wohl gerade vorbeigekommen wäre. Ich war zwar noch nie bei diesem Forsthaus gewesen, hatte aber gerade auf meiner Landkarte gesehen, dass ich auf meinem Weg bald an ein Forsthaus kommen würde. Der Amerikaner war nun froh, dass ich ihm als Ortskundiger weiterhelfen konnte. Er suchte seine Kaserne. Die hatte ich vom Waldrand aus gerade vorher gesehen. Deshalb hatte ich ja vorsichtshalber meine Marschrichtung geändert. Ich konnte ihm den Weg also erklären und er zog erleichtert von dannen. Auch ich war heilfroh, als er weg war. So konnte ich unbehelligt meinen Weg fortsetzen und ging frohen Mutes an dem Forsthaus vorbei, weiter der Heimat entgegen.
Pfingsten 1945, also 50 Tage nach Ostern, etwa am 19. oder 20. Mai war ich im Harz nördlich von Sangerhausen. In Gorenzen nahm mich die Familie Hellwig auf. Dort blieb ich 2 Nächte, um mich etwas auszuruhen. Es war eine Flüchtlingsfamilie aus Russland. Sie waren am Schwarzen Meer zu Hause gewesen. Eine der beiden Töchter schrieb mir mit Schreibmaschine einen Passierschein aus, der mir auf dem Weg nach Hause helfen sollte. Der Stempel der amerikanischen Besatzungsbehörde wurde mittels eines hartgekochten Hühnereis kopiert.
Hierbei musste das abgepellte Ei über den Stempel eines vorhandenen Ausweises gerollt und die haften gebliebene Stempelfarbe übertragen werden. Der Stempel war dann zwar relativ blass, aber noch zu erkennen. Ob mir das Papier geholfen hätte, weiß ich nicht. Ich habe es nie gebraucht. Etwa am 22.5.1945 verabschiedete ich mich von meinen Quartiersleuten, denen ich sehr dankbar bin. Die Kinder, 2 Töchter und 1 Sohn, brachten mich noch aus dem Dorf heraus und zeigten mir den weiteren Weg.
Ja, es kamen schon heimatliche Gefühle auf. Jetzt nur nicht noch erwischen lassen, so kurz vor dem Ziel dachte ich mir und wurde noch vorsichtiger. Die Fahrt mit dem Viehtransporter war ja geglückt.
Kurz vor Wittingen traf ich eine Frau, als ich den Ort umgehen wollte. Sie führte mich mitten durch Wittingen hindurch. Sie wusste dort gut Bescheid und konnte deshalb die Wachen der Besatzungsmacht umgehen. Sie meinte damals, dass es sicherer wäre, mitten durch Wittingen hindurch zu gehen, weil in der Umgebung des Ortes mehrere Wachposten der Amerikaner wären. Von Wittingen aus bin ich am selben Tag noch bis Dülseberg in der Altmark weitergewandert. Ich habe dann wohl bei Friedrich Frommhagen in Dülseberg über Diesdorf/Altmark übernachtet. Ich nehme das an, weil ich die Adresse noch habe.
Auf meiner Wanderung durch die amerikanische Besatzungszone bin ich überall von der Bevölkerung freundlich aufgenommen und verpflegt worden. Ich habe auf meiner Reise fast immer in einem Bett schlafen können. Einmal kam mir ein Junge nachgelaufen und fragte, ob ich Hunger habe. Ich ging mit ihm zu seiner Mutter zurück, die mich zum Mittagessen einlud und mir dann noch zum Abschied eine Landkarte gab. Ich glaube, es war das Kartenblatt "Halle 1:100 000", das ich heute noch habe und mich dann durch den Harz hindurch geleitet hat.
Von Dülseberg aus marschierte ich dann am nächsten Tag an Schnega, Clenze und Hohenzethen vorbei in die Göhrde hinein. Ich wollte erst mal nach Röthen zur Försterei, um von dort aus zunächst die Lage im Raum Lüneburg zu erkunden. Förster Elten in Röthen hatte ich kurz vor meiner Einberufung zur Wehrmacht kennen gelernt. Ich habe damals gemeinsam mit meinem Freund Calle Bühring Gärtnerssohn aus Echem einen Ausflug in die Göhrde gemacht. Wir haben dort Hirsche und Muffelwild gesehen und waren von Wald und Wild begeistert. Bei diesem Göhrdebesuch lernte ich Herrn Elten kennen und erzählte ihm, dass ich in wenigen Tagen zur Division Hermann Göring einrücken müsse. Während meines Kriegseinsatzes hatte ich Briefkontakt mit ihm und seiner Familie. Ich bin wohl damals von Dülseberg/Altmark in einem Tage bis Röthen marschiert. Das sind immerhin etwa 55 km Luftlinie. Ich werde also etwa 12 Stunden auf den Beinen gewesen sein. Man rechnet ja etwa 5 km Marschleistung pro Stunde. Das war eine gute Leistung. Aber Ende Mai war es ja auch sehr lange hell und ich war das Marschieren gewohnt. Unterwegs hätte es mich an diesem Tage beinahe doch noch erwischt. In einem Dorf, in das ich mit geschulterter Rübenhacke fröhlich hineinging, sah ich plötzlich an der Straßenecke zur Hauptstraße einen Engländer stehen, der dort Wache hielt. Ich reagierte ohne zu zögern. Die nächste Straße, auf der ich nach Karte weiterziehen wollte, führte im spitzen Winkel weiter. In dieser Ecke lag ein Bauernhof. Ich ging wie ein Einheimischer mit meiner Hacke auf der Schulter auf den Bauernhof und durch das andere Tor weiter auf die andere Straße, wo der Tommy mich nicht sehen konnte.
In Röthen wurde ich freundlich aufgenommen. Es waren noch zwei Soldaten im Haus, die sich dort schwarz, d. h. unangemeldet aufhielten. Ich blieb zwei Nächte in der Försterei. Am Tage nach meiner Ankunft war der Förster Elten zum Geburtstag in Oldendorf/Göhrde bei der Familie Krumstroh eingeladen. Er meinte, ich solle man mitkommen, um vielleicht etwas über Echem zu erfahren. Mit meinen Zivilklamotten, ich sah wohl aus wie eine Vogelscheuche, konnte ich nicht mitgehen, ohne dass die Gastgeber sich wohl erschrocken hätten. Herr Elten öffnete großzügig seinen Forstuniformschrank und ich verkleidete mich als Forsteleve. So ging ich dann mit zu Krumstroh's und konnte mich zum ersten Mal nach langer Zeit an Torte und Kuchen satt essen. Dieser schöne Nachmittag ist mir immer im Gedächtnis geblieben.
Am Tag darauf bin ich dann in Richtung Echem aufgebrochen. Ich marschierte von Röthen südlich Neetzendorf vorbei an die Bahnstrecke Dahlenburg-Lüneburg. An der Südseite der Bahn bin ich bis in Höhe von Rohstorf gegangen, um dann über Rohstorf, Reinstorf, Holzen zunächst nach Wendhausen weiterzuziehen. In Wendhausen habe ich damals den Bauernhof Meyer, der direkt gegenüber der Straße nach Sülbeck liegt, aufgesucht. Frau Meyer gab mir erst mal Kaffee und Kuchen. Über die Verhältnisse in Echem wusste sie zu berichten, dass die Einwohner dort wieder einziehen durften, nachdem die Alliierten die Elbe überquert hatten.
Echem war wie andere Elbdörfer auch auf Befehl der Engländer restlos geräumt worden. Die Einwohner mussten bis Rullstorf, Boltersen und sogar nach Wendhausen ziehen. Sie konnten auf ihren Pferdewagen nur etwas Hausrat mitnehmen. Es ist damals in den Häusern viel geplündert worden. Die Engländer hatten sogar das Klavier meiner Mutter aufgebrochen, welches sie gewohnheitsgemäß immer abschloss. Sie haben wohl Schätze darin vermutet, vielleicht wollten sie auch nur Klavier spielen. Meine Eltern hatten bei dieser Evakuierung Glück. Sie durften ihr Rindvieh mitnehmen und blieben in der Scharnebecker Feldmark in der Feldscheune der Lehr- und Versuchsanstalt in der Nähe von Fischhausen.
Unsere Polen hatten für meine Eltern gesorgt und passten genau auf, dass ihnen nichts Böses geschah. "Dieser Mann guter Mann" soll Josef immer gesagt haben. Die männlichen, polnischen Arbeitskräfte waren zum größten Teil entlassene polnische Kriegsgefangene. Die polnischen Mädchen waren meistens wohl zwangsweise nach Deutschland geschickt worden. Unsere polnischen Fremdarbeiter haben es bei meinen Eltern auch besonders gut gehabt. Josef und Bruna haben bei uns geheiratet und hatten schon 2 Kinder. Die Verpflegung für alle war grundsätzlich gleich. Es wurde kein Unterschied zwischen Familie, Franzosen, Polen oder Russen gemacht. Es war allerdings Vorschrift, dass an verschiedenen Tischen gegessen wurde. Außerdem hatte mein Vater den Polen ein heizbares Zimmer zur Verfügung gestellt, wo sich alle Polen des Dorfes regelmäßig trafen, obwohl wohl Versammlungsverbot bestand. Ich habe dort öfter vor meiner Einberufung mit ihnen zusammen gesessen und versucht, etwas Polnisch zu lernen. Dieses gute Verhältnis mit den Fremdarbeitern hat meinen Eltern unmittelbar nach Kriegsende sehr geholfen.
Kurze Zeit nachdem ich wieder zu Hause war, besuchten uns unsere Polin Bruna mit ihrem Mann Josef. Sie freuten sich, dass ich heil zurückgekommen war und luden mich in das große Polenlager nach Unterlüß ein. Meine Mutter gab Bruna noch Marmelade und andere Konserven mit. Obwohl ich damals gewisse Bedenken hatte, bin ich tatsächlich mit der Eisenbahn (einem Kohlenzug) nach Unterlüß in das große Polenlager gefahren. Alle Echemer Polen, welche mich ja kannten, weil sie oft auf unserem Hof in der warmen Stube gewesen waren, begrüßten mich freundlich. Es war nichts von einer gewissen Feindseligkeit zu spüren. Im Gegenteil beschenkten sie mich noch obwohl sie selbst nicht viel hatten. Sie gaben mir, daran kann ich mich heute noch erinnern, aus Gummireifen herausgeschnittene Schuhsohlen, damit wir unsere durchgelaufenen Schuhe besohlen lassen konnten.
Die Polen sagten mir damals, dass sie nach Amerika auswandern wollten, weil sie Angst vor den Russen hätten. Wo sie geblieben sind, weiß ich nicht. Sie hätten sich aus Amerika sicherlich gemeldet. Wir haben nichts mehr von ihnen gehört. Sie werden wahrscheinlich, wie viele andere auch, nach Sibirien verfrachtet worden sein und sind dort verschollen.
In der Heimat angekommen
Von Wendhausen aus ging ich weiter über Sülbeck, Boltersen, Walmsworth und Grevenhorn an der Alten Neetze entlang durch den Lüdersburger Wald "Großer Ort". Am 28.Mai 1945 Abends nach ca. 45 km Fußmarsch erreichte ich den Waldrand und sah zum ersten Mal nach fast zwei Jahren mein Heimatdorf Echem wieder. Wie oft hatte ich in den letzten beiden Jahren diesen Augenblick herbeigesehnt. Nun lag das Dorf still und friedlich inmitten von grünen, blühenden Wiesen vor mir. Es war ein herzbewegendes und überwältigendes Glücksgefühl.
Auf der an den Wald grenzenden Weide erkannte ich Albert Soltau sen., der dort seine Kühe molk. Er hatte wohl Angst vor Polen, die zu der Zeit Artlenburg und Brietlingen besetzt hatten. Es wurde oft Vieh gestohlen. Deshalb hatte A. Soltau seine Kühe in die äußerste Ecke der Feldmark getrieben. Ich war vorsichtig und setzte mich an dem Waldrand so hin, dass Herr Soltau mich nicht sehen konnte und wartete bis er wegging. Ich ging nicht zu ihm, um ihn zu begrüßen. Unterwegs hatte ich immer wieder gehört, dass Soldaten, die auf eigene Faust, ohne entlassen zu sein nach Hause gekommen waren, von den Alliierten sofort abgeholt wurden. Sie wurden dann in ein Gefangenenlager gesteckt. In den Dörfern sprach sich damals natürlich sehr schnell herum, wer nach Hause gekommen war. Das blieb auch der Besatzungsmacht nicht verborgen.
Dieses Schicksal wollte ich mir ersparen. Niemand durfte mich sehen, bevor ich im Elternhaus war. Es hätte sich sonst auch hier im Dorf wie ein Lauffeuer herumgesprochen, dass ich heimgekehrt wäre. Am nächsten Tag hätte mich dann der Tommy abgeholt. Das wollte ich vermeiden. Als Albert Soltau weg war, ging ich erst mal zu seinen Milchkannen, die, wie immer noch üblich, gefüllt mit offenem Deckel zwecks Kühlung nachts auf der Weide stehen blieben. Ich wusste ja wie man aus einem Milchkannendeckel trinkt. Ich hielt die drei Seitenlöcher zu, goss die frisch gemolkene Milch hinein und trank. Ach, wie köstlich schmeckte damals diese Milch.
Dann schlich ich in der Feldmark weiter von Busch zu Busch immer in Deckung bleibend. Ich hörte, dass im ehemaligen Arbeitsdienstlager Engländer lärmten. Das Dorf war also von Engländern besetzt. Ich schlich weiter in die Nähe des Dorfes und verbarg mich hinter einem Weidenbusch im Grenzgraben unseres Ackerlandes, der ohne Wasser war.
Da kamen Christoph Rosenberg und seine Frau auf unseren Acker, wohl um die Deckungslöcher der Engländer zu besichtigen, die diese vor der Elbüber- querung neben ihren Geschützen gegraben hatten. Ich machte mich im Seitengraben ganz lang, als sie direkt auf mich zukamen. Die beiden gingen etwa 3 m an mir vorbei und entdeckten mich glücklicherweise nicht. Jetzt wurde ich noch vorsichtiger und ließ es erst mal dunkel werden. In der Dunkelheit schlich ich weiter zum Bahndamm in ein großes Weidengebüsch. Dort horchte ich wieder. Als alles still blieb, ging ich zum ersten Gartenzaun vor. Ich durfte auf keinen Fall einer englischen Streife in die Finger geraten. Als sich nichts rührte, ging ich von Zaun zu Zaun und kam wohl so um Mitternacht in unserem Garten an. Ich wusste nun nicht, ob meine Eltern im Haus waren oder ob es von Engländern besetzt war. Ich stellte mich unter das im Hochparterre gelegene Schlafzimmerfenster meiner Eltern und sagte irgendetwas in englischer Sprache. Daraufhin hörte ich wie meine Mutter auf Plattdeutsch zu meinem Vater sagte: "Die Engländer sind da, die können uns ja was tun." Als ich die Stimmen meiner Eltern erkannt hatte, gab ich mich zu erkennen. Meine Eltern sprangen aus den Betten und öffneten sofort ein Fenster und ich kletterte um Mitternacht in das Schlafzimmer meiner Eltern.
So war ich denn endlich nach zwei Jahren heimgekehrt
Offiziell aus der Wehrmacht entlassen wurde ich nachträglich erst am 20.2.1946 in Bleckede/Elbe. Ich erhielt sogar noch 40 Reichsmark Entlassungsgeld. Damals besuchte ich bereits wieder das Johanneum in Lüneburg, um das Abitur nachzuholen.
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