Vergänglichkeit
Du
stürmst dahin und hast kein Ziel -
weißt
nicht, wohin dein Leben will;
prüfst
nicht, wohin dein Werk soll gehn -
halt!
- Einmal musst du stille steh´n!
Balder vom Berge
Neue
Naturdichtung
Er
weiß, dass es eintönig wäre
nur
immer Gedichte zu machen
über
die Widersprüche dieser Gesellschaft
und
dass er lieber über die Tannen am Morgen
schreiben
sollte.
Daher
fällt ihm bald ein Gedicht ein
über
den nötigen Themenwechsel
und
über seinen Vorsatz
von
Tannen am Morgen zu schreiben.
Aber
sogar wenn er wirklich
früh
genug aufsteht
um
sich hinaus fahren lassen
zu
den Tannen am Morgen,
fällt
ihm dann etwas ein
zu
ihrem Anblick und Duft?
Oder
ertappt er sich bei der Fahrt
bei
dem Einfall:
Wenn
wir hinaus kommen
sind
sie vielleicht schon gefällt
und
liegen astlos auf dem zerklüfteten Sandgrund
zwischen
Sägemehl, Spänen
und
abgefallenen Tannennadeln
weil
irgend ein Spekulant den Boden gekauft hat.
Das
wäre zwar traurig
doch
der Harzgeruch wäre dann stärker
und
das Morgenlicht
auf
den gelben gesägten Stümpfen
wäre
dann heller, weil keine Baumkrone mehr
der
Sonne im Wege Stünde.
Das
wäre ein neuer Eindruck
selbsterlebt
und sicher mehr als genug
für
ein Gedicht,
das
diese Gesellschaft anklagt.
Erich Fried
Die
Zeit ist wie ein Mosaik,
zu
nah beschaut, verwirrt es nur den Blick.
Willst
du des Ganzen Art und Sinn versteh´n,
so
musst du ´s, Freund, aus rechter Ferne seh´n.
Geibel
Sich
in Vergangnes liebend zu versenken,
mit
klarem Geist die Gegenwart durchdenken,
aufs
Nötigste die Willenskraft beschränken,
die
Zukunft sorglos Gott anvertrauen,
heißt
heiter schön sein Leben auferbauen.
J. Sturm
Wir
leben so dahin und nehmen nicht in acht,
dass
jeder Augenblick unser Leben kürzer macht.
Leben
ist ein köstlich Ding;
brauchst
du´s klug gesinnt;
Nutz
es wie ein Schmetterling,
nimm
es wie ein Kind.
Victor Blüthgen
Wer
nichts vermißt und wer nicht leidet,
ein
Glücklicher wird er genannt;
doch
fragt ihn, eh´ ihr ihn beneidet,
nur
erst, ob er sein Glück erkannt.
Den
meisten gilt in späten Tagen
als
Inbegriff des Glücks das Kind,
sie
wissen, dass sie glücklich waren
erst
dann, wenn sie es nicht mehr sind.
H. Wickenburg
Der
Blinde sitzt im stillen Tal
und
atmet Frühlingsluft,
ihm
bringt ein Hauch mit einemmal
des
ersten Veilchens Duft.
Um
es zu pflücken steht er auf,
sucht
bis die Nacht sich naht,
und
ahnt nicht, dass in irrem Lauf
sein
Fuß es längst zertrat.
Hebbel
Den
schlechten Mann muß man verachten,
der
nie bedacht, was er vollbringt.
Das
ist´s ja, was den Menschen zieret,
und
dazu ward ihm der Verstand,
daß
er im innern Herzen spüret,
was
er erschafft mit seiner Hand
Schiller
Über
die Heide
Über
die Heide hallet mein Schritt;
Dumpf
aus der Erde wandert es mit.
Herbst
ist gekommen, Frühling ist weit -
Gab
es denn einmal selige Zeit?
Brauende
Nebel geistern umher;
Schwarz
ist das Kraut
und
der Himmel so leer.
Wär
ich hier nur nicht gegangen im Mai!
Leben
und Liebe - wie flog es vorbei!
Theodor
Storm (1817 - 1888)
Herbstgefühl
Müder
Glanz der Sonne!
blasses
Himmelblau!
von
verklungner Wonne
träumet
still die Au.
An
der letzten Rose
löset
lebenssatt
sich
das letzte lose,
bleiche
Blumenblatt!
Goldenes
Entfärben
schleicht
sich durch den Hain!
Auch
Vergehn und Sterben
däucht
mir süß zu sein.
Karl
von Gerok (1815-1890)
|
Weisheiten
Halt
Und
immer dieser dunkle Drang,
das
ewig Seltsame zu finden,
und
immer dieser tolle Hang,
sich
kühn durch Wirrnisse zu winden,
und
immer diese tiefe Sucht
nach
neuen, unerschloss´nen Wegen -
und
nie ein Hafen, eine Bucht,
um
seine Fähre anzulegen,
stets
vor sich selbst auf wilder Flucht,
ein
Treiben, ziellos, ohne Segen.
Leo Heller
Ein
heiterer Geist, ein froher Sinn -
sie
sind der Menschheit beste Gabe,
und
wird die Weisheit früh zur Verwalterin,
so
reicht der Vorrat bis zum Grabe.
O. C. Pfeffel
Wenn
du in Groll und Zwist
mit
einem deiner Nächsten bist,
so
denke, dass vielleicht schon morgen,
enthoben
aller Erdensorgen
vorbei
das Leben ist
und
mit dem Leben auch - der Zwist.
F. Groß
Verstand
ist ein zweischneidiges Schwert aus
hartem Stahl mit blankem Schliff, Charakter
ist daran der Griff, und
ohne Griff ist´s ohne Wert.
Friedrich von Bodenstedt Ein
Wahn, der mich beglückt, ist
eine Wahrheit wert, die mich zu Boden drückt
Wieland Leg´s
dem Leben nicht zur Last, dünkt
sein Wert dich Plunder! Wenn
du Märchenaugen hast, ist
die Welt voll Wunder.
Victor Blüthgen Die
verdrossenen Grübler rechten: "Jeder
Tag liegt zwischen zwei Nächten." Doch
die heiteren Weltkinder sagen: "Jede
nacht liegt zwischen zwei Tagen."
Oscar Blumenthal Kannst
du mit der Sprache schnauben, schnarren,
poltern, donnern, krachen, mögest
lieber spielen, scherzen, lieben,
kosen tändeln, lachen.
Logau
Herbst
Der
Herbstwind rüttelt die Bäume,
die
Nacht ist feucht und kalt;
Gehüllt
im grauen Mantel,
reite
ich einsam im Wald.
Und
wie ich reite, so reiten
mir
die Gedanken voraus;
Sie
tragen mich leicht und luftig
nach
meiner Liebsten Haus.
Die
Hunde bellen, die Diener erscheinen mit Kerzengeflirr;
Die
Wendeltreppe stürm ich Hinauf mit Sporengeklirr.
Im
leuchtenden Teppichgemache,
da
ist es so duftig und warm,
da
harret meiner die Holde -
Ich
fliege in ihren Arm.
Es
säuselt der Wind in den Blättern,
es
spricht der Eichenbaum:
Was
willst du, törichter Reiter,
mit
deinem törichten Traum?
Heine,
Heinrich (1797-1856)
Herbst
Schon
ins Land der Pyramiden
flohn
die Störche übers Meer;
Schwalbenflug
ist längst geschieden,
auch
die Lerche singt nicht mehr.
Seufzend
in geheimer Klage
streift
der Wind das letzte Grün;
und
die süßen Sommertage,
ach,
sie sind dahin, dahin!
Nebel
hat den Wald verschlungen,
der
dein stillstes Glück gesehn;
ganz
in Duft und Dämmerungen
will
die schöne Welt vergehn.
Nur
noch einmal bricht die Sonne
unaufhaltsam
durch den Duft,
und
ein Strahl der alten Wonne
rieselt
über Tal und Kluft.
Und
es leuchten Wald und Heide,
dass
man sicher glauben mag,
hinter
allem Winterleide
lieg'
ein ferner Frühlingstag.
Theodor
Storm (1817 - 1888)
Im
Herbste
Es
rauscht, die gelben Blätter fliegen,
am
Himmel steht ein falber Schein;
Du
schauerst leis und drückst dich fester
in
deines Mannes Arm hinein.
Was
nun von Halm zu Halme wandelt,
was
nach den letzten Blumen greift,
hat
heimlich im Vorübergehen
auch
dein geliebtes Haupt gestreift.
Doch
reißen auch die zarten Fäden,
die
warme Nacht auf Wiesen spann -
es
ist der Sommer nur, der scheidet;
was
geht denn uns der Sommer an!
Du
legst die Hand an meine Stirne
und
schaust mir prüfend ins Gesicht;
Aus
deinen milden Frauenaugen
bricht
gar zu melancholisch Licht.
Erlosch
auch hier ein Duft, ein Schimmer,
ein
Rätsel, das dich einst bewegt,
daß
du in meine Hand gefangen
die
freie Mädchenhand gelegt?
O
schaudre nicht! Ob auch unmerklich
der
schönste Sonnenschein verrann -
es
ist der Sommer nur, der scheidet;
Was
geht denn uns der Sommer an!
Theodor
Storm
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Charakterliches
Gewisse
geschäftige Naturen
halten
jede Art von Betriebsamkeit für Trägheit, denn sie erkennen nur die
sichtbare, nicht aber auch die unsichtbare Welt an. Sie haben keine Ahnung
davon, dass es unsichtbare Taten gibt, die eine weit fruchtbarere Wirkung
haben können, als aller äußerer Fleiß und alle zur Gewohnheit
gewordene Betriebsamkeit.
Rob. Sailschick
Eine
große Persönlichkeit
bemerkt
man nicht allein,
wenn
sie gegenwärtig ist;
man
wird ihren Wert oft dann noch mehr inne,
wenn
die Stelle leer ist, die sie einnahm.
L. von Ranke
Schön
steht dem Reichen Demut
im
Angesicht der Armen;
schön
stehet dem Armen Stolz
im
Angesicht des Reichen.
Daumer
Willst
du aus der Flut mich retten,
frag
nicht, wo hinein ich fiel;
wo
ich jetzt zu Grunde sinke,
das
sei deines Auges Ziel.
Reicher,
frage nicht den Armen,
wie
er arm geworden ist,
willst
du fragen, frag dich selber,
wie
du reich geworden bist.
Jos. Grünstein
Leicht
überschätzt der edle Mann
das,
was er selbst nicht machen kann; verkleinernd
unter das Seine herab
zieht´s der Gemeine
Geibel
Mann
mit zugeknöpften Taschen, dir
tut niemand was zulieb; Hand
wird nur von Hand gewaschen, wenn
du nehmen willst, so gib.
Goethe Wohl
unglückselig ist der Mann, der
unterläßt das, was er kann, und
unterfängt sich, was er nicht versteht, kein
wunder, dass er zu Grunde geht.
Goethe
Überlass
es der Zeit
Erscheint
dir etwas unerhört,
bist
du tiefsten Herzens empört,
bäume
nicht auf, versuchs nicht mit Streit,
berühr
es nicht, überlass es der Zeit.
Am
ersten Tage wirst du feige dich schelten,
am
zweiten lässt du dein Schweigen schon gelten,
am
dritten hast du's überwunden;
Alles
ist wichtig nur auf Stunden,
Ärger
ist Zehrer und Lebensvergifter,
Zeit
ist Balsam und Friedensstifter.
Theodor
Fontane (1819-1898)
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